Berit malt

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Ohne zu wissen, warum, ging sie durch das Wohnzimmer hindurch, öffnete die Terrassentür und trat ins Freie hinaus. Ein viel zu heißer Augustmorgen schlug ihr entgegen und Berit blinzelte in den farbigen Garten, dem der nahende Herbst bereits anzusehen war. Die leuchtenden Staudenbeete, Andreas‘ ganzer Stolz, strahlten im bereits herbstlich weich werdenden Sonnenlicht. Aber sie hatte keine Augen für die Farbpracht ihres Gartens, sie durchquerte ihn einfach, um zu der kleinen Bank beim Zaun zu kommen. Von dort aus konnte sie so herrlich in die Weite und zu den Wäldern blicken. Sie liebte es, dort Farben zu sammeln und jene mit Ideen zu füllen. Jedes ihrer Bilder sollte eine Geschichte erzählen, als hätte sie sie mit Worten gemalt. Aber heute sprachen weder der Wald, noch die Felder, noch die Bäume mit ihr. Das Grün blieb grün. Wortloses Grün. Wortlose Farben.
Während ihr Blick immer unachtsamer in der Ferne verweilte, zog sich Berit in ihre Erinnerungen zurück.
„Ich weiß nicht, ob ich das als gut bezeichnen möchte“, sagte sie und zog das Tuch von der Leinwand. Es kam ihr als eine Ewigkeit vor, bis Andreas endlich auf ihr mehrmaliges „Und?“ reagierte.
„Berit, das ist wundervoll! Ich wusste gar nicht, dass du eine Künstlerin bist.“ Andreas nahm sie in seine Arme und drückte sie fest an sich. Über ihre Schultern hinweg blickte er weiterhin zu ihrem ersten Ölgemälde, zum Werk Eins, wie sie es nannte. „Ich möchte bitte unbedingt Zwei und Drei und weitere.“
Sie konnte sich noch ganz genau an das überwältigende Gefühl des Stolzes erinnern, dass sie beide damals in dieser Umarmung durchflutet hatte. Schwer zu sagen, ob sie nur stolz auf ihr prächtiges Bild oder eben auf ihren Mut gewesen war, sich endlich aus ihrem traurigen Dunkel zu befreien. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie sich getraut, etwas für sich selbst zu tun. Einfach um seiner selbst willen. Immer hatte sie vernünftig gehandelt.
Sie war Kindergärtnerin geworden, weil ihre Mutter ihr immer Talent im Umgang mit Kindern zugesprochen hatte. Sie hatte Andreas geheiratet, weil er ihr eine sichere Zukunft bieten konnte. Sie hatte Kinder bekommen, weil diese eine harmonische Ehe krönen sollten.
Doch dann kamen die Depression und ein Schwarz, das sie nicht mehr aus seiner Umklammerung lassen wollte.
Als könnte die Stille des Gartens ihr eine Antwort geben, lauschte Berit den Naturgeräuschen aufmerksam, als sie sich selbst die Frage stellte, ob es wohl eher Schuldbewusstsein oder doch ein Rest dessen gewesen war, das sie beide viele Jahre verbunden hatte, dass er ihr diesen Raum und dessen Möglichkeiten geschenkt hatte.
 

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Ich bin Marion und schreibe in unserem Onlinemagazin Meermond zu den Themen Reisen, Fotografie, Kultur und unser Leben in Skandinavien.

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