Fjordbyen in Aalborg – eine eigene Welt
„Kommt doch herein und schaut euch mein Haus an!“, sagt die freundliche Frau und lächelt uns beide an.
Etwas unsicher beobachte ich die Reaktion meiner sprachsicheren Freundin und staune, als die nach kurzem Zögern tatsächlich in Richtung der bunten Haustüre geht. Ich habe also doch richtig verstanden, wir dürfen in das Haus einer uns völlig fremden Person eintreten und uns umsehen.
Nein, wir sind nicht im gastfreundlichen Orient oder im lebenslustigen Italien.
Stella und ich sind in Fjordby in Aalborg und entdecken ein ganz besonderes Viertel und besondere Menschen.
Stadt in der Stadt
Mona strahlt vor Stolz, als sie uns ihr 25 Quadratmeter großes Glück zeigt. Gleich hinter der Haustüre öffnet sich ein kunterbunt eingerichtetes Wohnzimmer mit farbenprächtigen Bildern sämtlicher Stilrichtungen an der Wand und auf dem Boden stehend. Mir aber fällt die alte Hobelbank, die mit einer Glasplatte bedeckt ist und daher den Blick auf eine erstaunliche Menge an Flaschenöffnern freigibt, ins Auge. Im Werkzeugfach der Hobelbank liegen wahrhaft seltsame Exemplare.
Mona erzählt uns, dass in diesem Wohnzimmer sogar schon eine Fernsehaufzeichnung gemacht worden sei. Und nach der Ausstrahlung der Reportage habe man sie mit weiteren, speziellen Flaschenöffnern beschenkt. Sie zwinkert schelmisch, als sie uns erklärt, woraus der merkwürdig haarige Öffner gemacht wurde. Ich kenne zwar das dänische Wort für Ziegenhoden nicht, aber ihre Gestik ist eindeutig und ihr Lachen auch.
Im Wohnzimmer ist eine türkis geflieste Nische, in der eine kleine Küche eingebaut ist. Ich staune angesichts der peniblen Ordnung und Sauberkeit, die man angesichts der Unmengen an Emailledosen, Dekorationsartikeln aus allen Teilen und Kulturen der Erde, Bücher, Figürchen, Tingeltangel und Statuen gar nicht erwarten würde. Von wegen Staubfänger – Mona lebt für ihr kleines Schmuckstück und mit jedem Wort, das sie darüber verliert, leuchten ihre Augen mehr. Im Häuschen sind noch ein Schlafraum und ein winziges Bad und alles ist mit einer liebevollen Hand gehegt und gepflegt.
Doch diese Einstellung trifft nicht nur unsere charmante Gastgeberin zu. Nahezu alle Häuser, die wir während unseres Rundgangs gesehen haben, sind regelrechte Kunstwerke und haben einen einzigartigen Charakter.
Wir sind in Fjordby, einer ganz eigenen Welt in Aalborg.
Fjordby
Was als lauschiger Kaffeeklatsch mit kleinem Spaziergang geplant war, entpuppte sich als ganz besondere Entdeckung. Am Hafen von Aalborg gibt es ein kleines Viertel, in dem sich schon vor vielen Jahren Fischer und (freiheitsliebende) Menschen mit weniger Geld aus Treibgut, Fundstücken und Gesammelten Behausungen gebaut haben. Mona sagt, dass einige Leute dort schon seit den 50/60ern leben.
Fjordby ist heute gesetzlich mit einer Schrebergartenanlage gleichgestellt und so muss die Stadt Aalborg Vertragsverlängerungen und den weiteren Verbleib von Fjordby beschließen.
Die Freude beider Damen, die sich mit uns unterhalten haben, ist riesig: Fjordby darf sich seit zwei Tagen über einen Beschluss freuen, dass einer weiteren Verlängerung von 15 Jahren zugestimmt wurde. Obwohl die Ufer der Stadt fast überall modernisiert und architektonisch in die gegenwärtige Würfelbetonzeit überführt werden, bleibt diese eine Ecke bunt, alternativ und eine Heimat für sämtliche Lebenseinstellungen und Lebensweisen.
Und einladend.
Während Kopenhagens Fjordby schon vor Jahren einer Neuanlage weichen musste, kann man in Aalborg noch länger in eine Welt eintauchen, wie man sie so noch nicht gesehen hat. Kein Haus gleicht dem anderen, überall sieht man Liebe und einen eigenen Humor. Es macht Spaß, die witzigen Beschriftungen und Schilder zu entdecken und auf den jeweiligen Besitzer Rückschlüsse zu ziehen. So wird das eine Haus zum „Reichskrankenhaus“, ein anderes zur „Schatzkiste“, an anderer Ecke findet man einen Regenbogentraum neben einem angemalten Würfel ohne Tür und Fenster. Monas Haus trägt den Titel „Silikonfreie Zone“, während einer ihrer Nachbarn sich scheinbar lieber in Kentucky zu Hause wähnt. Fjordby ist ein ge- und belebtes Museum und darf von März bis Anfang September bewohnt werden. Autoverkehr ist dort keiner. Die Häuser dürfen nur eine Etage haben und wenn aufgestockt wird, so muss das Dach abgeschrägt sein und darf auch nicht die Höhe haben, dass man aufrecht darin stehen kann. Womit dann allerdings gebaut wird, ist anscheinend jedem selbst überlassen:
Inzwischen haben auch wohlhabendere Menschen das Viertel als Möglichkeit entdeckt, nahe am Wasser und in freier Natur zu leben. Doch nur Leute mit Wohnsitz in Aalborg dürfen ein Haus erwerben. Wenn denn eines zu haben ist! Denn wer in Fjordby lebt, der will auch bleiben.
Mona ist sich sicher, dass ein paar Fjordbyer auch über den Winter anzutreffen sind. Sie selbst lebt seit Anfang Juni wieder in und für ihr kleines Städtchen.
Ich kann sie verstehen.
Und hätte ich doch endlich eine richtige Kamera, so müsste ich mich nicht weiter über offenbar fettverschmierte Fotos vom Handy ärgern, auf dem wohl zuviel Handcreme geklebt haben muss. 🙁 Ich hoffe, ich konnte den Dunst soweit entfernen, dass ihr dennoch einen Eindruck davon bekommt, was für einen Schatz wir entdeckt hatten:
Ich muss noch einmal nach Fjordby. Dann aber unbedingt mit geputzter Handylinse – oder könnt ihr vielleicht ein gutes Wort in das richtige Sponsorenohr flüstern? Ich verspreche auch, ich gebe mein Bestes!
Danke <3
Weitere Empfehlungen und Bildmaterial:
Glasklar geknipst bei: Nordjyske.dk
24 Comments
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ingride mateen
wunderbar fjordbyen in aalborg!da kribbelt es mir in den fingern!!ja geht doch!das ist vielfalt! das hat persönlichkeit!! du fällst mir immer wieder auf mit deinen bildern beiträgen. gedichten und lebendiger sprache!!freut mich und danke
Meermond
Danke dir, es ist schön, wenn dir mein Blog gefällt! Ganz herzliche Grüße
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suzyintheflow
Bezaubernd und beflügelnd. Schön finden Menschen trotz allen Vorschriften doch noch Lücken und Ecken, wo sie mit Kreativität und Phantasie so leben können. Weniger (Geld) ist eben doch mehr!
Ulli
Hach, wie herrlich bunt diese Häuser sind, sowas wäre wohl in D nicht möglich, immer diese peniblen Vorschriften, seufz…
Ich danke dir für diesen be- und verzaubernden Beitrag,
herzliche Grüße, Ulli
Meermond
Verzaubert war ich auch. Ein treffliches Wort, das du gefunden hast. Liebe Grüße
alltagschrott.ch
Diese eigene, wundersame Welt kommt rüber und man möchte am liebsten länger verweilen.
Herzlich. Priska
Meermond
Es ist wirklich eine wundersame, verzaubernde Welt und ich hoffe, sie kann sich noch ganz lange gegen die Betonwürfelei wehren. Sag mal, baut man in der Schweiz derzeit auch nur noch eckige Betonklötze?
alltagschrott.ch
Nicht nur, aber sehr viele halt…
Meermond
Seufz…Dabei kann man so hübsch bauen…danke für die Rückmeldung ?
Silke
Toller Beitrag. Das sollte man sich auf jeden Fall mal ansehen. deine Bilder sprechen für sich und zeigen das dort Menschen mit viel Kreativität leben.
Danke für den Einblick
Hilsen
Silke
Meermond
Bittesehr, es war mir ein Vergnügen ?
Jutta
Wie schön, dass es auch Anderes gibt und wir Menschen nicht alle gleich sind. Deine tollen Fotos muss ich ganz lange anschauen. Sie erzählen bunte Geschichten. Liebe Grüße von Jutta.
Meermond
Gleichheit ist oft richtig langweilig. ?
Stella, oh, Stella
Die Fotos hast du doch gut „geputzt“ bekommen; sie fangen die Stimmung dort sehr schön ein. Ich war ja gestern schon wieder da mit meinem Mann. Der war auch ganz begeistert. Der Ort ist einfach zu schön!
Übrigens, das waren Känguru-Hoden, der Flaschenöffner stammt aus Australien. 😉 … auf Dänisch heissen die „nosser“, das ist aber umgangssprachlich, wie im Englischen „balls“. Ich habe im Wörterbuch nachgesehen, im Deutschen sagt man anscheinend „Eier“ (???).
Meermond
Ja, man nennt die tatsächlich so auf Deutsch.
Australien habe ich in dem hocherfreuten Redeschwall komplett überhört. ?
Babbeldieübermama
Wunderschön dieser Beitrag, die Aufnahmen und das Örtchen. Man fühlt sich entführt in eine Märchenwelt. Vielen Dank.
Meermond
Bitte, das hat mir selbst große Freude gemacht! Ganz liebe Grüße
mynewperspective
Danke für diese wunderschöne Reise. Definitiv ein Ort, der besucht werden sollte.
Meermond
Bittesehr, es war mir eine Freude ☺
freiedenkerin
Das ist ja ungemein bezaubernd und interessant! Diesen Ort würde ich mir auch zu gerne einmal in Ruhe ansehen…
Meermond
Kamera nicht vergessen und Linse putzen! Soooo herrlich da <3