Ich als Mama,  Leben in Dänemark

Gå væk!

Ich gebe es zu, ich gehöre nicht zu den Menschen, die ihre Trauer durch übermäßige Beschäftigung verdrängen wollen. Ich wünschte, ich könnte endlich mal nur im Bett liegen, an der Lieblingsdecke meiner Mama schnuppern und einfach nur stundenlang traurig sein.

Aber ich bin selbst Mutter von drei Kindern und gerade die Zwillinge lassen mir keine Zeit dazu, mich zu verkriechen. Ich möchte aber alleine sein. Ich will nicht ständig die streitenden, prügelnden Kampfzwerge trennen und mich ihren Wutanfällen aussetzen müssen. Ich will meine Ruhe haben. Zumindest mal ab und an.

Heute Nachmittag trieb ich sie nach gefühlt ewigem Gezeter nach Draußen. Sie spielten im Garten und ich hatte Zeit, mit dem Rechen die braunen Farnwedel abzuziehen.

Und da stand sie wieder.

Ich habe sie nicht rechtzeitig gesehen! Die alte Frau mit ihrem dicken Hund.

Sie ist vermutlich etwas dement und ist ziemlich aufdringlich. Sie überschreitet Regeln des Anstands, weil sie bei uns im Garten herumläuft. Sie guckt in die Fenster herein, klingelt und nervt uns. Sie erzählt wild drauf los und wäre eigentlich bedauernswert. Im letzten Sommer habe ich mich also öfter mit ihr unterhalten und ihr auch mal Kaffee angeboten. Da sie offenbar eine andere Einstellung zu persönlichen Grenzen hat als ich, stand sie auch schon mal klopfend auf unserer Terrasse. Die eine Hausseite ist komplett verglast und ich fand es schon reichlich unangenehm, von der Hundedame vom Esstisch weggeholt zu werden. Weil es mir zuviel wurde, habe ich mich immer blitzartig hinter den Büschen versteckt, wenn ihr rosaroter Mantel in die Straße einbog. Sie „kontrollierte“ täglich mindestens einmal, ob sie uns erwischen konnte. Die Fensterseite ist inzwischen mit blickdichter Folie beklebt.

Heute aber habe ich sie nicht gesehen.

Da stand sie plötzlich vor mir und plapperte munter drauf los, überschüttete mich mit Vorwürfen. Sie kann ja nichts dafür, dass ihr ein paar Tassen im Oberstübchen fehlen, aber ich doch auch nicht. Und ich will gerade einfach nur meine Ruhe haben. Ach, hätte ich doch mehr Mut, ihr zu sagen, sie solle abhauen. Sie solle jemand anderen volllabern.

Ich versuchte es mit extrem gebrochenen Dänisch und hörte den Nachbarn leise ins Haus schleichen. Ja, geh du nur rein und freu dich, dass sie dich nicht gesehen hat! Hilflos ließ ich mich in ein Gespräch verwickeln, das jene Bezeichnung im Prinzip gar nicht verdiente.

Da steht er auf einmal neben mir. 94 cm groß und schreit genau die Worte, die in meinem Kopf „Lass uns raus!“ schreien:

GÅ VÆK! 

Mein kleiner, tapferer Wikinger brüllte aus Leibeskräften und der kleine Belgier fuchtelte mit seinem Stöckchen herum. Meine Kinder verteidigten mich.

Und was tat ich?

Ich entschuldigte mich auf Dänisch für das Benehmen meiner Kinder und nutzte die Gelegenheit, das „Gespräch“ zu beenden. Auf Deutsch forderte ich die Kleinen dazu auf, in den Garten zu gehen.

Sie sind tapferer als ich.

Sie sind ehrlicher als ich.

Danke, meine lieben Kinder <3

Verzeiht mir, meine lieben Kinder <3

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Ich bin Marion und schreibe in unserem Onlinemagazin Meermond zu den Themen Reisen, Fotografie, Kultur und unser Leben in Skandinavien.

19 Comments

  • Liesel

    Ohweia, immer wieder dieser Ärger! Und Respekt vor deinen tapferen Kleinen. Sie haben kapiert, was los ist und wie man reagieren muss, um so eine lästige „Gwandlaus“ zu vertreiben. Aber wirklich helfen wird da wohl nur ein Tor, schade! Obwohl es auch einen Schutz bedeutet für deine Zwergerl, man weiss ja nie, wer sich sonst nochmal ins Grundstück verirrt, wenn sie draußen spielen. Und einem Hund kann man schon garnicht trauen. Die reagieren oft völlig unberechenbar, auch Kindern gegenüber.
    Die rosa Hundetante wird nie kapieren, was sie da eigentlich tut. Da kriegt ihr wohl keine Ruhe.

  • Silberkopf

    Ich nehme an das heißt „Geh weg“ oder?
    Die Bazi’s wissen schon wie es geht. Aber man wurde ja zur Höflichkeit erzogen und möchte auch nicht, daß die eigenen Kinder unhöfliche Gesellen werden. Aber in manchen (schweren) Fällen muß man einfach sagen wo es lang ..oder raus geht.
    Ich fürchte nur daß die Hundefrau es morgen oder schon kurz nachher vergessen hat. Sie wird wohl immer wieder kommen.
    Vielleicht hilft für den Anfang eine Kette vor der Einfahrt, das ist zwar keine wirkliche aber eine optische Begrenzung und vielleicht steigt sie nicht drüber??

  • puenktchenundwortgestoeber

    Stimmt so jemand kann einen ganz gut nerven. wir haben ein ähnliches Problem bei und schellt die Nachbarin egal wie spät /früh es sit, Und quasselt sabbelt … ob sie stört oder nicht… es ist zum auswachsen und ich habe keinen netten Verteidiger von 94 cm Größe… Ihc habe mich neulich getraut entgegen der gesellschaftliche Konvention , einfach zu sagen , das wir nun keine Zeit haben und sie ein anderes Mal wieder kommen muss… 2 Wochen Ruhe… nun kommt sie wieder… Ich glaube man muss sich einfach nur trauen..
    Und wer weis wie wir werden , wenn wir in dem alter sind? so hoffentlich nicht..
    LG Wortgestoeber

  • BloggerIn50+

    Immer wieder interessant, wie gesellschaftliche Konventionen unser Handeln beeinflussen! Die Frage ist doch, ob du die Nachbarin die nächsten 10 Jahre durch deine Privatsphäre trampeln lassen willst?! Jetzt stellst du die Weichen, deine Buben sehen und spüren doch die Wünsche ihrer Mama. Rad ab oder nicht, die Gute hat bei euch nix zu suchen und es ist dein Recht, ihr das zu verklickern. Lass die Krokodile raus! 🙂

  • birgitdiestarke

    So eine Nachbarin würde mich zum Wahnsinn treiben. In meinem Garten will ich ungestört sein. Wir haben uns abgeriegelt durch Pforten, auch weil sonst fremde Hunde einfach auf unser Grundstück laufen. Das will ich auch nicht haben. Hundebesitzer können manchmal ziemlich rücksichtslos sein.

    Nächstes Mal lässt du es vielleicht zu, dass sie dich verteidigen, deine beiden tapferen Ritter … 😉

  • Anna-Lena

    Du weißt ja, wie das mit dem ehrlichen Kindermund ist. Finde ich klasse 🙂 .
    Auch „wenn sie nicht alle Tassen im Schrank hat“, solltest du sie ansprechen und sie bitten, eine gewisse Distanz zu wahren.

    Für deine eigene Trauerarbeit wünsche ich dir die nötige Ruhe und auch Zeit. Verdrängen macht alles nur noch schlimmer, denn die Trauer kommt irgendwann mit geballter Ladung zurück.
    Alles Liebe!
    Anna-Lena

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