Mårup Kirke Lønstrup
Nordjütland,  Reisen in Dänemark

Die Seele der Mårup Kirke

”Man nimmt ihr die Seele weg, wenn man sie umzieht”, bedauerte Tove Marquardsen im Jahr 2008, als sie für einen Artikel im Nordjyske zu Wort kommen durfte. Ihre Kirche Stück für Stück abgebaut zu sehen stimmte sie traurig. Genau der Ort und die Stelle der Kirche wären es gewesen, die jene so bewahrenswert gemacht hätten.

Hätten.

Denn der Ort verschwindet. 

Das Verschwinden der Kirche

Jedes Jahr lösen sich mehrere Meter im reißenden Abgrund auf. Zwar hatte man den kulturhistorischen Wert der Mårup Kirke bei Lønstrup bereits 1918 als hoch eingestuft, doch wirft ihre Erhaltung bis heute bei vielen Menschen Fragen auf. Erst als es schon fast zu spät war, war das öffentliche Interesse an ihr erwacht.

Anstatt rechtzeitig Maßnahmen zur Eindämmung des Küstenabbruchs zu ergreifen, baute man ab 2008 die damals 800 Jahre alte Kirche ab. Der Abstand zur Abbruchkante betrug zu dem Zeitpunkt statt der ursprünglich etwa 1000m nur noch neun. Die Kirche einfach weiter im Landesinneren wieder aufzubauen war weder einfach, noch uneingeschränkt so gewollt.

Die Kirche rutscht in ihr Vergessen. Denn ist erst auch der komplette Friedhof im Meer verschwunden, wird sich kaum jemand mehr für die einstige Mårup Kirke interessieren.

Ihre Seele ist dann nicht mehr da.   

Mårup Kirke Lønstrup Aussehen
Mårup Kirke, Foto: Margit Keller 

Mårup Kirke

Um die kleine Kirche, die im 13. Jahrhundert erbaut worden war, ranken sich interessante sowie dramatische Geschichten. Manche suchen dort bis heute das angenehme Gruseln aus ihrer Kindheit auf. Leider ist von dieser besonderen Aura, die einen beim Spaziergang zwischen den verbliebenen, weiß eingezäunten Gräbern umfängt, nur noch wenig übrig. 

Mårup Kirke Friedhof Abbruch
Es sind nur noch wenige Gräber zurück. 

Auf dem Friedhof ruhten einst nicht nur die lokalen Verstorbenen, sondern auch die 226 Seemänner, die 1808 ihr Leben bei Mårup verloren hatten. An sie erinnert bis heute der große Anker der „The Crescent“ und eine Gedenktafel.

Anker der Crescent bei Mårup Kirke
Anker der verunglückten The Crescent

Während ein Priester 1899 schändliche Leichenfledderei der Einheimischen* anprangerte, hat ein Überlebender bereits kurz nach dem Geschehen eine Schrift in England veröffentlicht, in welcher er das vorbildliche, respektvolle Benehmen der dänischen Feinde beim Schiffbruch der Crescent hervorhob. Dies wird wohl eher der Wahrheit entsprechen, denn die Menschen Nordjütlands lebten seit jeher eher einfach und bescheiden.

Das Bild, das der feine Film „Babettes Fest“** [dänischer Film: Babettes gæstebud] zeichnet, trifft im Kern noch immer auf diese Region zu.

Was geschieht mit den Toten?

Nicht wenige Menschen waren nach meinem Beitrag zu Lønstrup Klint entsetzt darüber, dass ich von aus der Klippe heraus stehenden Hüftknochen geschrieben habe. Tatsächlich passiert es immer wieder, dass mit dem Abbruch sterbliche Überreste bis auf den Strand gelangen. Sie müssen in Lønstrup abgegeben werden, damit sie in einem Massengrab bei der neuen Kirche bestattet werden können. Die Gemeinde Lønstrup selbst sorgt dafür, dass der Strand regelmäßig nach menschlichen Überresten abgesucht wird. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es beim nächsten Strandspaziergang an uns selbst liegt, zu einem würdevollen Ende und Gedenken beizutragen.

Die Grabsteine stapeln sich beim Anker. Würdevoll nebeneinander gereiht und bis heute mit den letzten Grüßen versehen. 

Sidste Farvel - Grabstein bei der Mårup Kirke
Ein letzter Gruß aus einer anderen Zeit

Die Familien durften und dürfen mitbestimmen, wann und ob das Grab ihrer Angehörigen aufgelöst und die Überreste nach Lønstrup überführt werden. Dem allgemeinen Entsetzen möchte erwidern, dass man sich bei Mårup nicht nur 1808 respektvoll benommen hat. Man tut es bis heute im Rahmen der Möglichkeiten.

Mårup Kirke Lønstrup Grab

Ein Abschied mit Rätseln

Als wollte sich Mårup Kirke während ihres Abtransports noch einmal gegen ihr Verschwinden wehren, entdeckte man unter dem Altar das Grab eines etwa einjährigen Kindes.

Archäologen beziffern es auf eine Zeit mindestens um die Erbauungszeit der Kirche, wenn nicht gar älter. Das Kind scheint eine besondere Bedeutung gehabt zu haben, denn es war nur dem höheren Stand vorbehalten, unter einer Kirche begraben zu werden. Wie hoch mag erst die Stellung des unter dem Chor bestatteten Kleinkinds gewesen sein?

Bis heute weiß man nichts über dieses Kind. Wer es war und warum es genau dort lag, ist bis dato ein Rätsel.
Was auch immer das Innere der Kirche der Nachwelt noch mitteilen wollte, es wird sich wie der Ort selbst auflösen. Als Erinnerung bleiben die bei Liebhabern berühmte Filmszene aus Babettes Fest oder zunehmend verblassende Fotos.

Mårup Kirke Innenraum
Innenraum der ehemaligen Kirche,
Foto: Margit Keller
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Mårup Kirke kurz vor ihrem Abbau
Friedhof Mårup Kirke Lønstrup
der Rest

Während des Umzugs des Rubjerg Knude Fyr unterhielt ich mich mit einer Frau aus Lønstrup. Sie war froh darüber, dass man mit dem Leuchtturm nicht denselben Fehler beging wie mit der Mårup Kirke. Noch immer klagten viele Menschen über den Verlust dieses Kulturguts. Eine Kirche in Kisten. 

Vielleicht baut man sie ja jetzt wieder auf?  

Wichtiger Nachtrag am 20.10.2020: Die Kirche wurde, so im neuen Buch „Der Leuchtturm – Die Geschichte vom Maurer Kjeld und dem Rubjerg Knude Leuchtturm, der verschoben wurde“ nachzulesen, bereits beim Abbau zerstört. Die Steine wurden wohl aus Piettätgründen zermahlen, um ein Auftauchen von Steinen der Kirche in einem anderen Bauwerk zu verhindern. Die Malereien wurden bewahrt und einem Museum übergeben. Ich habe den Artikel daher angepasst und die Geschichte einer angeblichen Einlagerung der Kirche in Kisten entfernt. Træls.

Anmerkungen:

*Angeblich hat man in Dänemark – wie in anderen Küstenländern auch – Schiffe mittels Feuer auf den Dünen absichtlich auflaufen lassen, um sie dann zu plündern. Ob es sich um üble Nachrede, Neid oder Wahrheit handelt, entzieht sich meiner Kenntnis.
**https://de.wikipedia.org/wiki/Babettes_Fest
https://naturstyrelsen.dk/media/165652/1920maarup_fb.jpg?width=678


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Ich bin Marion und schreibe in unserem Onlinemagazin Meermond zu den Themen Reisen, Fotografie, Kultur und unser Leben in Skandinavien.

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