dänische Kultur,  Essen

Satt, satter, sønderjysk kaffebord!

Schaffst du es, mindestens 21 verschiedene Gebäckstücke zu essen? Könnest du dich sprichwörtlich in wienerbrød, lagkage oder småkager baden? Wenn du bei dir angebotenen Napoleonhüten nicht automatisch dein Outfit in Frage stellst, dann bist du vermutlich der perfekte Kandidat für das legendäre sønderjysk kaffebord (süderjütischer Kaffeetisch)! Dabei schlemmst du dich durch sieben weiche, sieben harte und sieben trockene Gebäcksstücke und schwebst im dänischen Kuchenhimmel! Ein außergewöhnliches Ereignis, über das bereits ein anderer Autor in höchst amüsanter Weise gestöhnt hatte:

Es ist mein Kummer mit der großen jütländischen Kaffeetafel.

Siegfried Lenz1
Wienerbrød (Foto: wienerbroed.com)

Sønderjysk kaffebord – die Geschichte der „großen rituellen Kuchenschlacht“2

Die Geschichte des sønderjysk kaffebord beginnt in Zeiten der Niederlage Dänemarks im Deutsch-Dänischen Krieg (1864), als Sønderjylland unter deutscher Herrschaft stand. Die Deutschen verboten Alkohol in den dänischen Gemeindehäusern (forsamlingshuse). Auf diese Weise sollten größere Veranstaltungen zur Festigung der dänischen Gesinnung verhindert werden. Die Dänen hielten dennoch ihre Treffen ab: Sie wichen auf Kaffee aus und tarnten ihre politischen Versammlungen als harmlosen Kaffeeklatsch. Fleißige Hausfrauen bereicherten die teilweise sehr großen Kaffeekränzchen mit Kuchen. Und wie das eben so ist, entwickelte sich unter den Frauen bald eine Art sportlicher Wettkampf um den schönsten und wohlschmeckendsten Kuchen. Da zu dieser Zeit in immer mehr dänischen Haushalten einfach zu handhabende Backöfen einzogen, entstanden schließlich jene überbordenden Kaffeetafeln, die wir bis heute kennen. Zu einem traditionellen sønderjysk kaffebord gehören tatsächlich die bereits oben erwähnten 21 Gebäckstücke!

Während des II. Weltkriegs lebte diese Tradition wieder verstärkt auf. Schließlich waren Zusammenkünfte erneut verboten, nicht aber Kaffeekränzchen …

Dagmartærte (Foto: wienerbrød.com)

Kann „eine Kaffeetafel Anlaß zum Kummer geben?“3

Die jütländische Kaffeetafel erfreute sich gerade bei reicheren Bauern, wo stets reichlich Backzutaten zur Verfügung standen, großer Beliebtheit. Sie war ein willkommenes Fest und eine gern gesehene Abwechslung zum harten Arbeitsalltag. Dass das Angebot an Gebäck weit über das hinausging, was man überhaupt essen kann, wurde dabei gerne in Kauf genommen. Man lud die Gäste einfach an den kommenden Tagen noch einmal ein oder gab ihnen Reste mit.

Napoleonhat (Foto: wienerbroed.com)

Das klingt im Prinzip sehr hyggelig

wären da nicht zwei Tatsachen, die schon Siegfried Lenz in seiner Novelle „Jütländische Kaffeetafeln“ beklagte. Zum einen wird zum kaffebord reichlich dänischer Kaffee, der „eine ölig schimmernde Schwärze“4 hat, serviert. Zum anderen sollte man als Gast möglichst von allen Gebäckstücken probieren!

Die üppig bestückten Kuchenplatten werden jeweils weitergereicht und von allen gilt es etwas zu nehmen!

(…) der Stolz der Hausfrau, den abzulehnen einer Beleidigung gleichgekommen wäre

Siegfried Lenz5
Lagkage mit Himbeeren (Foto: wienerbroed.com)

Rundstykker, wienerbrød, lagkage und viel mehr

Laut Wikipedia servierte man bei einem ➡ sønderjysk kaffebord der 1950er Jahre folgende Speisen: gebuttertes franskbrød, wienerbrød, verschiedene Blechkuchen, ein bis zwei Tarten und etwa fünf verschiedene Sorten Kleingebäck. Wie man sich durch eine derartige Kuchenschlacht kämpfen kann, erzählt Siegfried Lenz in seiner wahrlich köstlichen Novelle „Jütländische Kaffetafeln“.

Ein wahrlich köstliches Buch!

Ich habe mir das Buch nach einem Leserhinweis unter meinem ➡ Beitrag zum dänischen Kaffee geschenkt. Die Bilder, mit denen Kirsten Reinhold die jeweiligen Etappen einer nicht enden wollenden Kuchenschlacht illustriert, sind herrlich.

Ich gönnte mir die lustige Novelle während einer etwas beschaulicheren Kaffeetafel, musste es der Frau des Ich-Erzählers dann gleichtun. Mit letzter Kraft rammte ich meinem Tortenstück die Gabel ein, an deren Ende „jetzt nur noch ein Fähnchen fehlte, das weiße Fähnchen der Kapitulation“6.

Walnusstorte im doppelten Genuss

Lenz nimmt die Leser in einer äußerst witzig formulierten Erzählung von einem Kuchengang zum nächsten mit. Bereits satt vom Abendessen kämpft sich der Erzähler tapfer durch reichlich bebutterte rundstykker, wienerbrød, napoleonsnitter, lagkage und Nusstorte. Sein Versuch, witzig zu sein und ironisch nach småkager zu fragen, stellt sich prompt als Fehler heraus.

Kringel, Schäumchen, Plätzchen, Taler aus Mürbeteig, mit und ohne Schokolade, småkager in verführerischen Variationen, selbstgebacken.

Siegfried Lenz7
Småkager (Foto: wienerbroed.com)

Sein zunehmendes Entsetzen spült er mit viel zu starkem Gebräu bis hin zum Kaffeerausch hinunter.

Zum Protest zu matt, ließ ich mir die fünfte Tasse füllen.

Siegfried Lenz8

Völlig übersättigt und im Bett sitzend warten er und seine Frau auf den nächsten Tag.

Wahrer Lesegenuss!

Wanderer, kommst du nach Jütland9

Wer die Gelegenheit dazu hat, sich vor Ort durch einen derartigen Gaumenmarathon zu futtern, nur zu! In dänischen Ferienhäusern stehen meist recht große Esstische. In der dänischen Kultur ist das gemeinsame Essen tief verwurzelt. In vielen Gemeinden gibt es immer wieder Gelegenheit dazu, an einem sogenannten fællesspisning teilzunehmen (hier habe ich schon einmal darüber geschrieben: ➡ fællesspisning).

Doch auch zu Hause kannst du spätestens ab jetzt zu einem echten sønderjysk kaffebord einladen. Hinter allen Bildern im Text verbirgt sich nämlich ein Link zu besonders leckeren, dänischen Backspezialitäten. Drück doch mal drauf! Da ich bisher eher wenige Rezepte publiziert habe, schicke ich dich manchmal zu Katharina vom Wienerbroedblog.

In diesem Sinne wünsche ich dir guten Appetit und eine noch bessere Verdauung,

Du kannst das Buch auf einen Knopfdruck* bestellen:

* Dies ist ein Affiliate Link, mehr dazu im Impressum.

Alle Zitate wurden dem folgenden Buch entnommen:

Siegfried Lenz: Jütländische Kaffeetafeln, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg, 2. Auflage 2007

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Ich bin Marion und schreibe in unserem Onlinemagazin Meermond zu den Themen Reisen, Fotografie, Kultur und unser Leben in Skandinavien.

8 Comments

  • Waltraud

    Grins, ich glaube die leckeren Kuchen sind eine Entschädigung für den Kaffee, der wirklich manchmal kurz vor der Körperverletzung steht. Ich habe auch das Gefühl, das die Dänen mit 2 Mägen zur Welt kommen, einen extra für die vielen Leckereien. Gut ist der Brauch, das sich jeder sein Stück Kuchen selber abschneidet und so entscheiden kann, wieviel er essen möchte. Und trotzdem fehlt uns gerade das zur Zeit. Aber hoffentlich bald. Schönes Wochenende Euch allen

    • Meermond

      Die Idee mit den zwei Mägen wäre vielleicht sogar eine Erklärung für das Ess- und Trinkverhalten der Dänen! Und wenn sie dennoch nur einen Magen haben, so verfügt der auf alle Fälle über eine kräftigere Magenschleinhaut als meiner. Der Kaffee ist wirklich nur was für echte Wikinger 😉
      Ja, liebe Waltraud, ich glaube schon, dass ihr bald wieder hier sein könnt. Det skal nok gå!

  • Stella, oh, Stella

    Haha, das Buch haben mir Freunde geschenkt, als wir von Seeland nach Südjutland zogen. Wir wurde alleine beim Lesen schon schlecht.
    Aber in ländlichen Gebieten in Norddeutschland gibt es ähnliches Brauchtum. Da laden die Damen, die Bauersfrauen zur Damenrunde ein, wo es mindestens 6 dicke Torten gibt, alles mit Buttercreme, und auch dort wird erwartet, dass man jede Torte probiert, würg.

    Aber das Buch ist herrlich geschrieben, finde ich.

    • Meermond

      Ganz ehrlich würde mir eine herrlich altmodische Buttercremetorte mal wieder schmecken! Ich erinnere mich mit Sehnsucht an die köstliche Preiselbeerbuttercremetorte unseres bayerischen Dorfbäckers. Was war das ein Traum!
      Ich mag ja so überbordende Kuchentafeln eher weniger. Man frisst einfach viel zu viel.
      Wusstest du, dass ich nach Süßspeisen meistens Käse mit scharfer Chilisauce esse? Meine Kinder lachen mich schon aus, aber ich mag das Gefühl nicht, das ich nach einer Süßspeise im Mund habe.

      • Stella, oh, Stella

        Das kann mir auch passieren, dass ich nach viel Süssem etwas Salziges oder Gewürztes brauche. Aber Buttercreme? Nein, nein, nein … 😉 😀 Mein Magen macht zu nur bei dem Gedanken daran.

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