Leben in Dänemark

Tag 13 – Zeit für Staunen

Wenn die Welt dazu gezwungen wird, sich langsamer zu drehen. Wenn die Menschen aufhören, durch den Raum zu rasen. Wenn die Menschen sich bedroht und verletzlich fühlen. Wenn wir einsam sind. Wenn es sich anfühlt, als hätte die Zeit den Atem angehalten.

Dann ist die Zeit für Staunen.

Ich bin dann mal weg

Seit gestern wissen wir also, dass Dänemark die bisherigen Maßnahmen bis Mitte April verlängert hat. Homeschooling und Homeoffice sollen fortgesetzt werden. Hilflos sitzen wir überwiegend in unseren vier Wänden und werden mit täglich grauenvolleren Nachrichten konfrontiert. Wir halten uns an sämtliche Forderungen, meiden Menschen, halten Abstand und bleiben zu Hause. Oder im Garten.

Via SMS oder amtlichen Bescheiden werden wir von der Polizei, von der Kommune und vom Gesundheitsministerium über weitere Vorschriften und Ratschläge in Kenntnis gesetzt. Wir dürfen jetzt auch Nachbarn melden, bei denen wir eine heimlich gehaltene Corvid 19 – Erkrankung vermuten. Gleichzeitig sollen wir ein Auge auf Familien mit „verletzlichem Hintergrund“ werfen. Schließlich gelte es deren Kinder zu helfen und vor den vielleicht hinter dem Haus angesammelten Schnapsflaschen zu beschützen.

Hat sich so die DDR angefühlt?

Ich weigere mich, die ganzen Bescheide zu lesen, es reicht mir. Ich lese heute den ganzen Tag schon keine Zeitung. Ich interessiere mich nicht für Kommentare oder Artikel, in denen sich Autoren über diese neuesten Aufforderungen aufregen.

Ich bin da jetzt raus. Ich bin dann mal weg.

Einsicht.

Ich ziehe mich noch mehr zurück und lenke meinen Blick auf andere Dinge. Es ist lange her, dass ich mit so großen Augen das Erwachen der Natur beobachtet habe. Es ist in den vergangenen Tagen mein kleines Ritual geworden, gleich nach dem Aufwachen nach draußen zu sehen. Sind die Blätter vom Apfelbaum aufgegangen? Sind die Osterglocken jetzt endlich alle aufgeblüht? Gibt es überhaupt noch Vögel, die uns am Morgen aufwecken?

Wir erledigen brav unsere Alltagspflichten und freuen uns täglich auf den nahenden Feierabend. Alexander hat inzwischen einen schmerzenden Rücken, weil ihm seine professionellen Büromöbel fehlen. Die Kinder müssen mit Tricks und Gummibärchen zu weiteren Schulaufgaben überredet werden und ich bemerke immer mehr, dass ich auf all das keine Lust mehr habe. Ich will draußen sein, den ganzen Tag nur Sinneseindrücke sammeln. Farben. Gerüche. Wörter. Licht.

Wie Leo Lionnis kleiner Frederick.

Hätten wir alle einen guten Vorrat anlegen können, würden wir nicht so leiden. Corona kam zu schnell. Nicht nur ich leide unter Einsamkeit, dem veränderten Alltag und dem Verlust dessen, was wir schon eigentlich nicht mehr als wertvoll angesehen haben: Freiheit!

Wir haben uns daran gewöhnt, immer und jederzeit überall hin zu dürfen. Und wir haben es nicht zu schätzen gewusst.

Jetzt sind wir deutlich in unseren Freiheiten eingeschränkt worden. Frust, Aggression und Hilflosigkeit schleichen sich zunehmend in unsere Gedanken. In die Sozialen Medien.

Steh auf!

Jetzt steht alles still. Ich las schon mehrere Meldungen darüber, dass sich die Natur an einigen Orten zu erholen scheint. Gewässer klaren auf, Smog verschwindet und der Lärm ist verstummt.

Und was machen wir Menschen nun daraus? Wir jammern, weil wir unsere Freiheiten eingeschränkt wissen. Weil wir nicht in den Urlaub fahren dürfen.

Schluss damit!

Uns ist neben der Katastrophe ein Geschenk gemacht worden: Wir haben Zeit zum Nachdenken. Zeit, das Wertvolle schätzen zu lernen. Zeit zum Luftholen. Zeit für Langeweile. Zeit für ein Telefonat. Zeit für liebevolle Gedanken an die Menschen, die wir lieben und um die wir uns sorgen.

Wir haben Zeit für Einsicht. Zeit, um sich neue Möglichkeiten auszudenken und sie zuzulassen. Zeit für Pläne.

Ich nehme euch in den kommenden Tagen mit in mein Staunen. Ich zeige euch Orte, die mich verzaubern und gebe euch (vielleicht) neue Ideen für eure nächsten Urlaube. Denn Pläne zu machen tut gut. Mir gibt das Hoffnung und Freude.

Und vielleicht euch auch.

Marion

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Ich bin Marion und schreibe in unserem Onlinemagazin Meermond zu den Themen Reisen, Fotografie, Kultur und unser Leben in Skandinavien.

32 Comments

  • Andrea

    Also ich habe die DDR nicht wie Harald empfunden. Sicher war alles geregelt, aber das war nicht für jeden in Ordnung und es ging auch nicht jedem gut.

  • Andrea

    Liebe Marion, du hast wieder einen sehr schönen Blogbeitrag geschrieben. Versuche nicht allzu deprimiert zu sein. Ich mach es so wie du und beobachte z.B. das Frühlingserwachen in diesem Jahr viel bewusster und erfreue mich an jeder Kleinigkeit.
    Sind die Auflagen in Dänemark denn gravierender als in Deutschland?
    Bleib gesund! Liebe Grüße
    Andrea (@waldhaus_a)

    • Meermond

      Liebe Andrea,
      im Prinzip ähneln die Einschränkungen denen, die ihr derzeit in Deutschland habt. Aber wir haben zwei kleine Kinder (7 Jahre). Und für uns alle ist es nun sehr schwer, in einen so anderen Alltag geworfen zu werden.
      Die guten Wünsche gebe ich gerne zurück!

  • Silke

    Wir haben jetzt die Gelegenheit innezuhalten und einen Gang runterzuschalten. Viele haben auch ihre Freizeit so verplant, das sie jetzt mit der geschenkten Zeit nichts anzufangen wissen, siehe meine Tochter.

    Hier bei uns im Ort ist es eigentlicht recht entspannt, klar es gibt auch hier Menschen denen man es nicht rechtmachen kann, aber der größte Teil hält sich an die Auflagen. Das Einkaufen ist etwas stressig, da durch die vielen Hamsterkäufe einige Sachen wirklich Mangelware geworden sind. Darüber ärgere ich mich schon, vor allem, da die die keine Hamsterkäufe gemacht haben, jetzt gezwungen sind, öfters einzukaufen um zu versuchen, die Sachen zu bekommen und dadurch öfters mit Mitmenschen in Kontakt kommen, als normaler Weise nötig wäre.

    Da wir einen Garten haben, genieße ich diesen, erfreue mich über das Erwachen der Natur (hat man sonst nicht so intensiv wargenommen), gehe mit den Hund.

    Bleibt alle gesund!!!

    Liebe Grüße
    Silke

    • Meermond

      Ich finde es sehr interessant zu erfahren, wie andere die derzeitige Situation erleben. Dass die Hamsterei offenbar immer noch ein Problem ist, macht mich traurig. Wir müssen vernünftig bleiben. Unbedingt.
      Passt auch gut auf euch auf, Marion

  • Harald Krabbe

    Hallo von der Insel Poel,

    so hat sich DDR nicht angefühlt. Man hatte das Gefühl das alles geregelt ist und zwar so das es den Menschen gut geht. Es herrschte Ordnung und man hatte Respekt voreinander.

    Wenn ich heute das Gezänk zwischen den einzelnen deutschen Bundesländern verfolge betr. Ausgangsperre, Abiturprüfungen usw. ist das einfach nur peinlich und kostet so viel Zeit die man anderweitig sinnvoller einsetzen könnte.
    Und die ganzen Kriminellen die sich gleich in das Fahrwasser hängen, Desinfektionsmittel stehlen, Schutzmasken stehlen, falsche Coronatests anbieten, bei alten Leuten Coronakontrollenmacht und sie bestehlen…..usw. das gab es nicht.
    Dann schickt die IHK mir Kreditangebote zur Überbrückung ( als höriger Vasalle der Banken), aber es gibt auch Hilfen die man nicht zurückzahlen muss, darüber informieren sie mich nicht.
    Das war früher alles anders geregelt, eindeutig und klar.
    Und der kriminelle Abschaum wurde ferngehalten von uns.
    Heute muss man eben doll aufpassen und genau abwägen was man annimmt und was nicht.
    Uns ehemalige DDR Bürger hat man in den Jahren zu sehr mistrauischen Mitbürgern erzogen……
    Passt auf Euch auf!!!
    Harald

    • Meermond

      Lieber Harald,
      dass Kriminelle sich an der Katastrophe bereichern wollen, ist abartig und verurteilenswert. Da bin ich ganz deiner Meinung. Jetzt besonders aufzupassen ist tatsächlich angebracht.
      .
      Ich lernte meinen ersten Mann 1993 kennen. Er ist aus Mecklenburg Vorpommern. Ich sah die Russen abreisen, ich erlebte den Neuanfang mit und hörte viele Erzählungen.
      Eindeutig und klar war Vieles in der DDR. Aber ganz so positiv würde ich es nicht beschreiben.
      Das ist allerdings meine persönliche Meinung und soll nun nicht im Zentrum einer neuen Debatte stehen.
      Wir alle haben nun mit einem unsichtbaren Gegner zu kämpfen, der hart zu besiegen ist.
      Konzentrieren wir uns darauf, gesund zu bleiben und unbeschadet aus dem Ganzen herauszukommen.
      Bleib bitte auch gesund, Marion

    • Petra Gorholt

      Liebe Marion, ich freue mich immer auf deine Beiträge. Du schreibst mir aus der Seele. Hier in Deutschland gibt es die Einen, die sich entspannt und rücksichtsvoll verhalten und die Anderen, die an Allem rummäkeln.
      Also alles wie immer.
      Ich genieße die Ruhe und die Natur, die gerade zu explodieren scheint.
      Noch ist es kalt, aber sehr sonnig, die Pflanzen lauern auf die erste Wärme…
      Ich glaube, wir müssen uns einlassen,
      auch auf die erstmal unangenehmen
      Umstände, denn auch die haben gute Seiten.
      Freue mich auf weitere posts von dir,
      Liebe Grüße Petra

    • Christine

      Ich kann es echt nicht glauben, was ihr hier über die DDR kommentiert. Erstens gehört es hier nicht her, finde ich und zweitens kann man doch nicht komplett unter den Teppich kehren, mit welchen Methoden die DDR für sogenannte bessere Verhältniss gesorgt hat! -Stasi?- Das Wesen einer Demokratie ist nun mal, das diskutuert und abgewogen wird, möchtet ihr es anders haben? Das man Euch alles vorschreibt und wenn ihr etwas dagegen sagt, Euch mit perfiden Methoden mundtot macht? Tut mir leid Marion aber hier musste ich etwas dazu sagen. Bin schockiert.

      • Fred Lang

        Hallo Christine,
        offenbar werden hier gelegentlich die beiden unterschiedlichen Antwortfunktionen – entweder direkt auf den ursprünglichen Beitrag von Marion oder auf die jeweiligen Antworten – nicht korrekt genutzt. Das wiederum führt dann zwangsläufig zu Missverständnissen.
        Ich habe hier nichts über die ehemalige DDR gepostet, sondern mich in meiner Antwort ausschließlich auf Marions Beitrag bezogen.

        • Christine

          Hallo Fred, ich habe es schon gemerkt und Marion informiert. Tut mir leid, dass es da zu Mißverständnissen gekommen ist. Ich beziehe mich auf den Post von Harald Krabbe.

          • Fred Lang

            Alles klar, Christine.
            Ich freue mich, dass du nicht zu denjenigen Zeitgenossen gehörst, die gleich beleidigt und aggressiv auf konstruktive Kritik reagieren. Wir alle machen mal Fehler und ich bin da gewiss keine Ausnahme.
            Gruß
            Fred

          • Christine

            Hallo Fred, das ist doch selbstverständlich! Ich möchte auch nicht mit anderen in einen Topf geworfen werden. Wenn einer beleidigt sein müsste, dann Du! Einen schönen Abend für Dich!

      • Meermond

        Alles gut. <3
        Ein Kommentarstrang ist dazu da, um sich auszutauschen. Und manchmal sprechen auch Kommentatoren miteinander. Ich finde das völlig in Ordnung, solange keine Beschimpfungen und Ausraster unter meinen Beiträgen stehen. Trolle lösche ich nämlich.
        LG

  • Christine

    Ich persönlich finde den jetzigen Zustand gar nicht so anders, als ich sonst lebe. Auch sonst muß ich nicht ständig in Cafés sitzen oder in der Gegend herumlaufen. Nun bin ich aber auch insofern priviligiert, weil ich einen großen Garten habe und mich dort aufhalten kann und mein Sohn schon ausgezogen ist. Ich freue mich, dass viele Menschen jetzt mal zur Ruhe kommen und die Natur sich erholt.Mir machen nur die wirtschaftlichen Konsequenzen Sorgen, denn man weiß jetzt noch nicht, wie sich dieses auf unser zukünftiges Leben auswirken wird. Und meine Gedanken sind bei den Menschen, die schon jetzt ihren Job verloren haben oder schwer erkrankt sind. Wieder einmal zeigt uns die Natur, das sie die Stärkere ist und wir letztendlich machtlos sind. Das macht einen demütig und bescheiden aber ist auch eine nachhaltige Verunsicherung, dass wir doch nicht in Sicherheit leben. Trotzdem bin ich Optimist und nehme die Situation an, so wie sie ist und bin dankbar, wenn meine Lieben und ich nicht krank werden. Wenn ich Deine Zeilen lesen, bin ich mit Dir in den Dünen am Strand und kann Deinen Widerstand gegen die allgemeine Stimmung verstehen. Das ist das in uns Menschen, welches uns immer aus allem das Beste machen lässt und warum wir immer wieder aufstehen und nach vorne schauen. Ich freue mich auf neue Berichte von Dir und sende viele liebe Grüße nach Dänemark zu Euch.

    • Meermond

      Unser Alltag ist stark verändert. Wir haben zwei 7jährige Kinder, die sich gegenseitig auf die Nerven gehen, die komplett mit der ganzen Situation und dem Aufgabenberg der Schule überfordert sind. Dazwischen soll Arbeit und Alltag fluppen. Es gibt jetzt auch keine Spielkameraden, kein Fußball, keine Musikschule, keine Rollschuhdisko, die unsere beiden von ihrem Frust ablenken. Das ist für uns als Familie enorm anstrengend.
      Vor den wirtschaftlichen Konsequenzen dieses Lockdowns fürchte ich mich auch sehr. Wir sind auf unser regelmäßiges Familieneinkommen angewiesen. Ich mag gar nicht darüber nachdenken… Ich schau mir lieber meine eigenene Traumfotos an und freue mich auf die Fotos, die Alexander bald hochladen wird. Ich kenne sie nämlich auch noch nicht…
      Ganz liebe Grüße!

  • Waltraud

    Es ist doch erstaunlich, das wir uns alle über den schönen blauen Himmel freuen, ohne Kondenzstreifen. Bei der Gartenarbeit hat mich gestern und heute eine moppelige Hummel begleitet. Die Natur erwacht. Wir haben jetzt beschlossen doch in unserem kleinen „Lille Nordlys“ zu bleiben, denn tagsüber dürften wir sowieso raus fahren. Der Speiseplan für 3 Wochen ist gemacht. Wird morgen bestimmt nach einem Hamsterkauf aussehen, aber dann haben wir keinen Kontakt mehr mit Einkaufswagen und dergleichen. Und ich wünsche mir für uns alle das in 3 Wochen das schlimmste vorbei ist.
    Ich kann mir vorstellen das es für die Kinder besonders schwer ist zu begreifen, das sie so viele Einschränkungen haben, wenn es uns Erwachsenen schon schwer fällt das alles zu verarbeiten. Aber wenn wir jetzt auch noch in Grübeleien verfallen werden die Tage noch schwerer. Da finde ich es ganz toll mit Deiner Idee Marion, das Du uns ein wenig mit Inspirationen verzaubern möchtest. DANKE im voraus. Liebe Grüße an alle Waltraud

  • freiedenkerin

    Mir fallen immer stärker die Vorteile der jetzigen Situation ins Auge: Unter anderem die klare und reine Luft in der Mitte einer 1,5-Mill.-Stadt. Kaum Kondenzstreifen am wundervoll blauen Himmel. Die Ruhe und Stille hier, mitten in München. Das fürsorgliche Miteinander, das grade in meiner Nachbarschaft, aber auch unter Fremden, so schön am Aufblühen ist. Dass viel weniger Feuerwehr-, Polizei- und Krankenwägen mit Blaulicht und Sirene unterwegs sind – vermutlich ist wegen der Ausgangsbeschränkungen die Zahl der Verkehrsunfälle stark zurückgegangen. Kein Gedränge mehr in den Straßen und Geschäften. Man bekommt in den Öffentlichen nun mit Leichtigkeit einen Sitzplatz u. v. m…
    Liebe Grüße – und bleibt gesund!

  • Stella, oh, Stella

    Man kann doch immer noch in die Natur wann immer man will. Die einzige Aufforderung, die wir erhielten war, dass man sich auch draussen verantwortungsvoll verhalten soll mit Abstand und so. Ich finde, dass die meisten das tun.

    • Meermond

      Vielleicht habe ich mich nicht eindeutig ausgedrückt, ich habe nicht gemeint, dass wir Hausarrest haben. Wir dürfen schon raus gehen.
      Das letzte Schreiben, das wir von der Kommune bekommen hatten, hat mir jedenfalls nicht gefallen. Das ging mir zu weit.
      Beim Einkaufen treffe ich leider immer wieder auf Menschen, die keine Ahnung haben, was Abstand ist. 😉

  • Jutta Weiss

    Und der Himmel ist ohne, oder fast ohne Flugzeuge viel viel blauer.
    Die Luft riecht frischer und wir haben eine grandiose Fernsicht.
    Hat doch was.

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