Leben in Dänemark

Virtuelles Dänemark

In Dänemark ist man gläsern. 

Ich gebe zu, das ist jetzt bewusst im Stil der Boulevardpresse formuliert, aber man muss manchmal etwas lauter trommeln, um überhaupt gehört zu werden.  

Das, wovor deutsche Datenschützer immer wieder warnen, ist in Dänemark real. Immer wieder lese ich in Fachartikeln besorgte Analysen, dass man hier mit persönlichen Daten ziemlich leichtfertig umgeht. Auch und gerade bei öffentlichen Einrichtungen! Alles ist in einer virtuellen Identität vernetzt, gespeichert und — 

wird schon mal ohne generellen Argwohn weitergegeben. 

Weitergabe von Gendaten

Anfang dieses Jahres mussten wir beispielsweise aktiv beantragen, dass unsere Gendaten und damit auch mögliche Erkrankungen nicht automatisch an ein Unternehmen weitergeleitet werden.
Angeblich soll damit anonymisiert geforscht werden.

Eine genauso automatische Benachrichtigung, dass dieses Vorgehen überhaupt geplant oder bereits genehmigt sei und dass man dem Ganzen widersprechen könne, erfolgte hingegen nicht. 

Ich mache an dieser Stelle eine dramatisch wirksame Pause.  

Ich erhalte Termine bei Fachärzten, Steuerbescheide, Pensionsbriefe, Verwaltungsbescheide und sogar Werbung unserer Versicherungen und so viel mehr in die e-boks* geschickt! Aber von der beabsichtigen Weitergabe unserer DNA erfuhren wir aus einer anderen Quelle. 

Ich bin mir nicht sicher, ob zum Beispiel die geistig beeinträchtigte Dame, die immer in unserer Siedlung herumspaziert, selbst zu einem derartigen Nein in der Lage war und ist? Was ist mit den immer fröhlichen, jungen Leuten aus der sozialpädagogischen Einrichtung? Der Widerspruch geschah nur via online-Verfahren. Und ich bin mir weiterhin nicht sicher, ob alle mental Gesunden die Tragweite so eines Vorgehens erfassen können.

Virtuelles Dänemark

Du träumst davon, nach Dänemark auszuwandern? Wenn du ein Leben ohne ständige Vernetzung und virtuelle Identität möchtest, hat sich dein Traum hiermit erledigt. Ohne Internet geht gar nichts in Dänemark. 

Einerseits ist das ziemlich praktisch, aber wie oben angeführt nicht ausschließlich rosarot.  

In Dänemark haben alle Bürger eine NemID – eine virtuelle Identität.

Ich habe gelernt, mich souverän in dieser virtuellen Welt zu bewegen. Und ich persönlich finde das saupraktisch! Ich terminiere meine Arztbesuche online und hole meine Medikamente in der Apotheke via Magnetchip ab. Mit der Krankenkarte geh ich abends in die Bibliothek. Über eine App kaufe ich eine Tüte mit Backwaren, die unser Bäcker nach Geschäftsschluss wegwerfen müsste. Ich habe nie Bargeld im Geldbeutel, weil ich mit dem Handy eine Verknüpfung zu meinem Bankkonto habe. Überall kann ich mit der Karte oder mittels mobilePay bezahlen. Mit einem Wisch spendiere ich dem großen Prachtsohn eine Pizza und trinke Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt via QR-Code.  

Das Leben in Dänemark ist sehr modern. 

Traditionelles Dänemark 

Wie kann es gleichzeitig sein, dass man sich in vielen Dingen weigert, Altbewährtes aufzugeben?

„Das haben wir schon immer so gemacht“, ist ein Satz, über den sich erst vor Kurzem sogar Dänen lustig gemacht haben. Neue Vorschläge werden geduldig angehört, besprochen und in Übereinstimmung abgelehnt, weil man das doch schon immer anders gemacht habe. Die charmante Art, sich selbst auf die Schippe zu nehmen, ist mir auch schon immer aufgefallen. 

Vielleicht ist es einfach nur dänischer Humor, dass man so häufig Nummern ziehen und geduldig warten muss, bis man an der Reihe ist: beim Bäcker (sic!), in der Apotheke, am Postschalter, in der Bank, in der Gemeinde, in der Notaufnahme…

Ich liebäugle übrigens mit einem Nummernautomaten für´s heimische Badezimmer, Online – Reservierung hat sich nicht bewährt. 

Tak for i dag,

*e-boks: offizielles Postfach, an das große Unternehmen, staatliche Einrichtungen des Verwaltungs-, Steuer- und Gesundheitsbereichs senden. Es ist mit der persönlichen NemID verbunden und durch die jedes Mal notwendige Eingabe einer Pin-Nummer auf einer sogenannten Schlüsselkarte geschützt.  

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Ich bin Marion und schreibe in unserem Onlinemagazin Meermond zu den Themen Reisen, Fotografie, Kultur und unser Leben in Skandinavien.

31 Comments

  • Christine

    Ich glaube, wir können uns nicht dem Fortschritt versperren. Sicher muss man nicht jede App haben und sich immer ein bisschen schützen, aber auf Dauer ist es seit dem Internet immer ein bisschen ungewiss, wer an unsere Daten kommt. Es macht mich nur ein bisschen traurig, wieviel persönliche Kontakte dabei auf der Strecke bleiben. Früher war einkaufen auch ein bisschen plauschen mit der Kassiererin oder mit der Marktfrau, heute geht es überall nur schnell, schnell und wir isolieren uns durch die moderne Technik auch immer noch ein bisschen mehr. Die zwischenmenschlichen Kontakte, das aufeinander Rücksicht nehmen, einfachste Höflichkeitsregeln, innehalten und kürzer schalten ist für viele ein Fremdwort. Es scheint, als jagten alle hinter etwas her – höher schneller, schöner…auf der Suche nach dem Kick. Bewaffnet mit Iphone und Plastikkarte stürzen wir uns in die Welt – doch die wirklichen Geschichten erleben wir kaum noch real. Ich komme mir vor wie Methusalem, wenn ich erzähle, wie ich in Indien von Aufständischen in einem Zugabteil gefangengehalten wurde,- oder wie ich erzähle, wie wir in Dänemark mit dem Segelboot kleinste Häfen angelaufen haben und uns dort Räucherfisch und Brot gekauft haben von Einheimischen und uns mit Ihnen unterhalten haben…so schöne Geschichten und so real – auf der einen Seite wirkliche Gefahr und auf der anderen Seite wirkliche Nähe zu Menschen, die eine Geschichte haben.

    • Meermond

      Und genau das ist ein Grundgedanke, den ich mit Meermond verfolge: Ich schreibe nicht, um Influencer zu werden oder um als Aushängeschild für Firmen zu enden. Ich erzähle Geschichten, vermittle Emotionen und bin ein Mensch, dem mitfühlende Leser einen Kopfsalat mitbringen 🙂

  • Christine

    Ach diese Nummernautomaten! Die find ich auch herrlich. Als ich letztes Jahr in Kopenhagen war, hatten wir eine Privatwohnung in einer nicht so tollen Gegend von Kopenhagen gemietet. Morgens bin ich dann los zum Bäcker und musste dort eine Nummer ziehen. Bis ich das kapiert hatte, stand schon eine lange Schlange hinter mir. Leider sprach keiner Deutsch oder Englisch und mein Dänisch ist ziemlich mau – kurz gesagt ich habe nur Bahnhof verstanden, was zur Folge hatte, das ein liebenswerter Däne mir seine Nummer gab, mich zum Tresen schob und für mich alles geregelt hat. 🙂

  • Jutta

    Das ist mein Problem. Eigentlich ist die digitale Entwicklung toll. Aber der Raubbau mit unseren Daten…..Augen zu und durch? Ich hab einfach keine Lösung. Viele Grüße von Jutta.

  • gkazakou

    Erstaunlich, wie schnell und glatt du dich in die virtuelle Welt eingefügt hast. Mir graust es, wie wir alten Menschen zu Behinderten gemacht werden, wenn wir die Technologie nicht mehr lernen können. Und dein Beispiel mit den DNA-Daten zeigt, wohin der Weg führt. Ich schrieb übrigen 2005, in meinem Roman „Schwanenwege“:
    Sein Ohr fing Bruchstücke der laufenden Sendung auf. Es ging um eine Gemeinde in Dänemark, „die sich eine virtuelle Infrastruktur aufbaut, weil es keine reale mehr gibt.“ Die Gemeinde hatte keine Schule, kein Krankenhaus mehr, auch keinen Laden, dafür aber „das größte nicht-kommerzielle drahtlose Breitbandnetz Europas“. ‘Hol sie alle der Teufel!’ murmelte Harald. So also gedachte man in Zukunft miteinander zu reden und Vertrauen zu schaffen.

  • Stella, oh, Stella

    Ich finde das Nummernziehen sehr praktisch, dann kann sich nämlich niemand vordrängen … hehehe … und wenn man ganz viele vor sich hat, kann man kurz noch was anderes erledigen. 😉

    So ganz scheinen nicht alle Behörden vernetzt zu sein oder zumindest schienen (vielleicht sind sie es jetzt), denn trotzdem ich bei der Fahrprüfung meine Aufenthaltserlaubnis vorlegen musste und meinen Pass, stand auf meiner Führerscheinkarte als Geburtsort Dänemark. Das ist mir nicht einmal gleich aufgefallen, und erst als wir nach Schweden zogen, haben wir gemerkt, dass ich all die Jahre als Dänin im Volksregister registriert war, hahaha.

  • Ewald Sindt

    Das ist schon ein interessanter Bericht. Mit den Daten ist es so eine Sache, das eine was ich will und das andere was ich muss. Ich denke, der „Staat“ weiß eh schon soviel, da kommt es auf ein paar Dinge mehr auch nicht mehr an.
    Übrigens, ein BZ-Problem haben wir nicht, erst meine Herzdame, dann ich! Der Deal ist, sie macht Frühstück und ich putze dafür die Dusche, nicht nur abziehen, sondern auch trockenwischen. ???
    Lieben Gruß, Ewald

  • Virtual Language Lighthouse

    Sehr interessant! Ich weiß noch nicht so genau, wie es hier in Kanada läuft, aber da wir uns für die Einwanderung total „nackich“ gemacht haben, denk ich manchmal, dass „die“ ja eh schon alles wissen. Sorgen macht mir das manchmal schon, und wie Du auch schreibst: Was passiert mit den Daten der Menschen, die das gar nicht auf der Platte haben? Sehr gut finde ich übrigens die Idee mit dem Wartenummer-Ziehen fürs Bad!! Hab 3 Männer zu Hause und nur ein Bad…

  • freiedenkerin

    Auch wenn es eine große Erleichterung darstellt, mit diversen Behörden wie z. B. Jobcenter, Krankenkasse und Stadtbibliothek vernetzt zu sein, und ich jetzt Unterlagen und Dokumente einfach vom Schreibtisch aus per Mail versenden kann – und jetzt vor allen Dingen das Jobcenter nicht mehr behaupten kann, den Brief mit einer dringend benötigten Bescheinigung nicht erhalten zu haben, da ich jederzeit nachweisen kann, die entsprechende Mail korrekt versandt zu haben *Hähähä!* – eine totale Vernetzung wie in Dänemark wäre für mich ein absolutes No-Go.

    • Meermond

      Ich habe meine Vorbehalte, weil mir Alexander schon oft Beispiele erklärt hat, was man eigentlich virtuell alles anstellen kann! Da bekomme ich Bammel, wenn ich darüber nachdenke…
      Aber es ist hier so und ich musste lernen, mich in diesem Netz zu bewegen. Dazu gehört Verantwortung und vorausschauendes Denken. Gegen Googles Datenstaubsauger habe ich schon lange „verloren“. Aber ich installiere weder Facebook noch dessen Tochter WhatsApp auf meinem Handy. Beide Programme greifen mir zu aggressiv auf dort abgespeicherte Daten zu und nach jedem Update stellt FB sich die gemachten Beschränkungen wieder um. Bescheide in der e-boks öffne ich nicht mir dem Smartphone usw.
      Es wird immer schwieriger, das Netz zu durchblicken und auszutricksen, aber solange ich das ein bisschen kann, versuche ich es.
      Ich sollte vielleicht Google mal einen Nummernautomat vorschlagen…. 🙂

  • Ann

    Ich finde das Dänemark Modell extrem gut(dieses Datenschutz Gejammer ist nicht mein Ding, das ist jedoch eine ganz andere Diskussion) sehe aber immer die Gefahr, dass ein gut gelegter Virus ein solches System aushebeln kann. Wie sieht Dein Leben aus, wenn es zu einem totalen Online Ausfall kommt? Ich hoffe, dass es einen Plan B gibt. LG Ann?

    • Meermond

      Dann ziehen wir alle eine Nummer und warten geduldig auf eine Lösung 😉
      Im Ernst weiß ich nicht, was dann hier los wäre. Ich weiß aber ganz bestimmt, dass man erst einmal ein generelles „bare rolig“ hören würde. Ruhig bleiben. Denn darin sind sie auch ziemlich gut, die Dänen.
      LG Marion

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