Leben in Dänemark

Die alte Frau und das Meer

Wenn der Kopf voll ist, die Gedanken sich immer schneller im Kreis drehen und ich das Gefühl habe, nicht mehr aus diesem Wirbel heraus zu können, dann nehme ich meine Jacke vom Haken und mache mich auf den Weg zum Meer.
Manchmal brauche ich nur ein paar Minuten am Strand und schon hat der Wind den Gedankenmüll einfach weggeblasen, manchmal dauert es etwas länger. Doch jedes Mal geht es mir deutlich besser, wenn ich mich wieder auf den Heimweg mache.
Das Brausen der Wellen, der stete Wind und das Wissen, als kleiner Wicht inmitten eines Großen zu stehen, vermag mich immer wieder zu beruhigen. Den beliebten Begriff „erden“ möchte ich nicht so gerne dafür verwenden, da ich gerade den salzigen Wind und die Luft am Meer suche. Und finde.
Schon als junges Mädel stand ich auf einer Düne in Saltum und schrie dem Wind entgegen, dass ich hier eines Tages wohnen wollte. Und nun lebe ich tatsächlich hier. Und immer, wenn mich Unruhe packt, kehre ich an eben diese Stelle zurück. Das Dünenbild hat sich (sicherlich) in den inzwischen über 26 Jahren verändert, doch scheint die Zeit dort trotzdem still zu stehen. Wenn mein Leben zu stark an Fahrt aufgenommen hat, brauche ich einen Stillstand. Ich finde ihn jetzt wieder genau da, wo ich ihn schon damals erahnen konnte.
Für die Überschrift habe ich den Titel „Die alte Frau und das Meer“ gewählt.
Nun, man mag anmerken, dass man mit 43 eben noch nicht alt ist! Schließlich suggerieren Medien und Hochglanzblättchen beständig, das heutige 40 sei das 30 unserer Mütter. Und meine Generation wird tatsächlich nicht müde zu behaupten, sie sähe deutlich besser aus als die ihrer Eltern im gleichen Alter.
Nun denn, nach dem Tod meiner Mama habe ich viele Fotos von ihr in die Hand genommen und feststellen müssen, dass sie mit 40 weder so dick war, wie ich sie damals eingeschätzt hatte, noch dass sie wesentlich älter aussah als ich im Moment. Sie färbte nur ihre Haare nicht. Ich bin 43, habe Falten im Gesicht, bin nicht mehr so drahtig wie damals, kraxle etwas langsamer auf das Dünengebirge, wiege 8 Kilo mehr und meine Haare sind genauso grau wie die meiner Mama. Aufgrund einer (gemeinen) Allergie auf Inhalte von chemischen Haarfarben kann ich nur noch reine Pflanzenfarben verwenden, die aber das viele Grau nicht wirklich „übermalen“ können. Mach dir nix vor, liebe Rotfrau, du solltest langsam über den Namen „Graufrau“ nachdenken!
Genau wie alle Menschen hoffe ich darauf, ein hohes Alter erreichen zu dürfen. Genau wie alle Menschen wünsche ich mir, von schlimmen Gebrechen und Krankheiten verschont bleiben zu dürfen.
Und genauso wünsche ich mir, auch als tatsächlich alte, (relativ) gesunde Grauoma ans Meer zu können, wenn es mich dorthin treibt.
Ein leerer Strand, eine steife Brise und das Schlagen der Wellen können eine Seele heilen. Zumindest meine. Und wenn man mal einen etwas längeren Aufenthalt am Strand benötigt, um wieder zur Ruhe finden zu können, dann nimmt man sich wenigstens die Zeit, besondere Momente zu erleben und zu entdecken.
So wie diese hier:
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Ich bin Marion und schreibe in unserem Onlinemagazin Meermond zu den Themen Reisen, Fotografie, Kultur und unser Leben in Skandinavien.

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