Norwegen

Håpets Katedral – wenn sich aus dem Müll der Meere eine Kathedrale der Hoffnung erhebt

In Fredrikstad im Süden Norwegens entsteht ein interreligiöses Symbol der Hoffnung. Viele Menschen tragen dazu bei, ein Zeichen gegen die Vermüllung der Meere zu setzen. Die Kathedrale der Hoffung wird genau so wie die weltbekannten Stabkirchen gebaut. Das Dach hingegen schimmert in den Farben des Plastikmülls aus dem Meer. Traditionelle Bautechniken verbinden sich mit den Problemen der Gegenwart zu einem bunten Bauwerk, das zum Mitmachen und zum Erhalt der Weltmeere einlädt.

Håpets Katedral liegt bei der Halbinsel Isegran, welche Norwegens längsten Fluss Glomma in Østerelva und Vesterelva teilt, vor Anker. Wie viele andere Schiffe auch ist sie beim Maritime Center Fredrikstad vertäut. Sie wurde nämlich auf einem traditionellen Vierkantfloß, dem sogenannten mølepram, errichtet, und konnte daher erst vor wenigen Tagen erneut umgedreht werden.

Seitenansicht der Kathedrale im Februar 2022 – Der Haupteingang zeigt hier noch in Richtung des Isegran Forts.

Die Kathedrale der Hoffnung setzt ein Zeichen gegen die Vermüllung der Weltmeere

Als ich am vergangenen Mittwochvormittag zu den Freiwilligen an der Kathedrale der Hoffnung gehe, um mich mit dem Deutschen Peter über das Projekt zu unterhalten, ahne ich noch nicht, dass ich nur wenig später in Arbeitskleidung stecke und den Farbpinsel schwinge. Genauso wenig ahne ich, dass die Frau, die sich mir lediglich als Solveig vorstellt und mich lächelnd in den Bauwagen zur Umkleide einlädt, eben jene Solveig Egeland ist, die die Idee zu Håpets Katedral hatte. Die Künstlerin und Kulturreferentin der Diözese Borg der Norwegischen Kirche initiierte ein Projekt, zu dem nicht nur viele Freiwillige, sondern auch Firmen und Sponsoren ihren Beitrag leisten.

Das 300 Quadratmeter große Dach der Kathedrale ist ein Bild aus Plastikschindeln, die aus maritimem Plastikmüll hergestellt werden.

Das angeschwemmte Plastik, auf das Solveig Egeland auf ihren Strandspaziergängen traf, inspirierte sie zu einem farbenfrohen Gebäude, das ein Zeichen gegen die Vermüllung der Weltmeere setzen soll. Das Leid der Gegenwart soll in etwas Positives verwandelt werden, an dem alle teilhaben können sollen. Die Kathedrale der Hoffnung gibt daher Raum für verschiedene Religionen und Kulturen. Es geht um das Miteinander der Menschen, denn nur gemeinsam können die Meere gerettet werden.

Die schwimmende Stabkirche

Seit Herbst 2018 finden sich Freiwillige zum dugnad an der Kathedrale ein. Dugnad ist typisch norwegisch und bedeutet einen unbezahlten Arbeitseinsatz, in dem man sich zum Wohle anderer einsetzt. Als ich die Kirche aufsuche, hallt nicht nur lautes Hämmern aus dem Gebäude heraus, sie sieht auch anders aus. Sie ist umgedreht und anstatt über schmale, ungeschützte Holzbretter, kann ich den Kirchenraum über eine breite Rampe mit Geländer betreten. Auf dem Boden sitzen drei Menschen, die ein Gewinde aus Fasern in die Lücken zwischen die Bretter schlagen.

Die alte Frau, die mit ausgestreckten Beinen erstaunlich gelenkig auf dem Boden sitzt und sich tief zu den Bodenbrettern beugt, bemerkt mein Staunen. Sie erklärt mir, dass der Hammer gar nicht so schwer sei wie er aussehe. Der Mann neben ihr bricht in schallendes Gelächter aus und erklärt mir in breitem Dänisch, dass die Arbeit ihm eher Rückenschmerzen bereite. Er stellt sich mir als Poul von den Färöern vor. Von ihm erfahre ich, dass die Kathedrale auf einem vierkantigen Floß schwimmt, welches unter der fachkundigen Anleitung der traditionellen Bootsbauer aus Frederikstad gebaut wurde.

Poul schlägt ein Hanfseil in die Lücken des Bodens, welche später zusätzlich mit Teer versiegelt und abgedichtet werden.

Hier ist kein Nagel drin! Das ist wie eine schwimmende Stabkirche.

Poul

Zum Bau der Kathedrale werden nicht nur altertümliche Werkzeuge verwendet, sondern auch alte Bautechniken angewendet. Genau wie bei den als Weltkulturerbe geschützten Stabkirchen werden alle Holzteile mit der Hand bearbeitet und schließlich mit Keilen, Bolzen oder Einkerbungen miteinander verbunden.

Beim Bau der Kathedrale verwendet man alte Techniken, wie sie schon vor 1000 Jahren in Norwegen üblich waren.

Sammen bygger vi håp!

Draußen mache ich mich auf die Suche nach Peter. Er hatte mich im April bei einem unserer Ausflüge zur Kathedrale der Hoffnung angesprochen, als die Kinder den kleinen Beichtstuhl auf dem Gelände testeten. Er beteiligt sich schon lange am Bau und kennt daher viele kleine Geschichten. Und die immer neuen. Der zuletzt noch leicht chaotisch anmutende Unterstand hat sich in nur vier Wochen in ein farbenfrohes Gebäude verwandelt.

Junge Frauen sorgen für sichtbar frischen Wind auf den grauen Holzplanken, während Peter und seine Kollegen mit einem traditionellen Hobel wuchtige Planken für den Verkaufstresen bearbeiten. Hier soll ein Souvenirladen und ein kleiner Imbiss für Besucher entstehen. Und hier werden auch moderne Schrauben verwendet.

Diese Art Hobel benutzten die Norweger auch im traditionellen Schiffsbau.

Das wird schön, findest du nicht?

Mit diesen Worten tritt eine freundlich lächelnde Frau an mich heran, die sich als Solveig vorstellt. Sie erzählt mir, dass immer wieder Schulklassen vorbeischauen, um zu lernen oder wie eben heute, frischen Wind in das langweilige Grau zu bringen. Sie erzählt von dem schönen Gefühl des Miteinanders, das jeden Mittwoch auf dieser Baustelle herrsche. Ich frage nach der Organisation der Bauarbeiten. „Jeder tut genau das, was er kann und was er möchte“, antwortet sie mir. Während Peter die Tafel mit der Aufschrift des Mottos „Sammen bygger vi håp!“ (in freier Übersetzung: Gemeinsam errichten wir Hoffnung) abhängt und schließlich eine große Durchreiche baut, werde ich Teil des Projekts. Solveigs Einladung, gleich jetzt mitzustreichen, kann ich nicht ablehnen und als sie mir Arbeitskleidung heraussucht, habe ich auch keine Ausrede mehr, ihre Einladung abzulehnen. Ich steige also in eine riesige Arbeitshose, stopfe meine lange Wollweste unter das offizielle T-Shirt und schon lerne ich, wie dugnad wirklich geht.

Jede/r darf helfen – hier entsteht ein Gebäude für einen Souvenirshop und kleinem Café.

Das Miteinander zählt

Nach einer Weile läutet Solveig die Glocke und alle scharen sich um einen Tisch, auf dem eine Isolierbox mit dampfendem Eintopf steht. Im Gespräch mit den anderen erfahre ich, dass zum gemeinsamen Arbeiten auch ein Mittagessen gehört, das von lokalen Restaurants gesponsert wird. Das Miteinander zählt und ich fühle mich willkommen, auch wenn ich nur auf Dänisch antworten kann. Man schlägt mir vor, immer donnerstags zu kommen. Dann seien nämlich Menschen aus verschiedenen Nationen bei der Arbeit, um gemeinsam Norwegisch zu lernen und zu üben. Jede/r spreche dabei auf dem Niveau, das er/sie eben gerade beherrsche.

Obwohl ich den Gedanken äußerst reizvoll finde, an diesem etwas unkonventionellen Norwegischkurs teilzunehmen, kündige ich mich für einen weiteren Mittwoch an. Ich mag das Abenteuer, mich ohne gezielte Unterstützung mit Muttersprachlern verständigen zu müssen. Darüber hinaus möchte ich herausfinden, warum die Kirche überhaupt gewendet wurde. Es hat irgendwas mit Schindeln und mit spontanen Änderungen zu tun, die aus ästhetischen Gründen vorgenommen wurden, wie ich aufschnappen konnte.

Solveig hat ein klares Bild ihrer Kathedrale der Hoffnung im Kopf und das will ich genauer kennenlernen. Denn mit der Recherche zu diesem Artikel habe ich herausgefunden, wer diese bescheiden auftretende Frau wirklich ist.

Ich muss also noch einmal zum dugnad.

Teilen:

Ich bin Marion und schreibe in unserem Onlinemagazin Meermond zu den Themen Reisen, Fotografie, Kultur und unser Leben in Skandinavien.

8 Comments

Kommentar verfassen