Urlaub in Zeiten von Corona – zwischen Reisescham und Reiseglück!
„Nein, das dürft ihr nicht!“ Dieser Satz war ein Schock für uns. Da standen wir also am 29. Juni 2020 am Check-in der Fähre in Hirtshals und verstanden nicht wirklich, was eigentlich los war. Sollte unser Sommerurlaub in Norwegen doch nicht erlaubt sein? Hatten wir die Angaben der dänischen und norwegischen Regierungen falsch aufgefasst, als es hieß, die Bürger Dänemarks dürften nach dem Lockdown wieder nach Norwegen reisen? Mir drehte sich der Magen um.
Die Dame im kleinen Häuschen lächelte nicht und verweigerte uns den Zutritt zur Fähre nach Larvik. Warum sprach sie eigentlich Deutsch mit uns? Alexander versuchte sich in einer kleinen Diskussion, die lediglich zu drei weiteren „Nein, das dürft ihr nicht“s führte. Und dann fasste ich mich wieder. Ich beugte mich zu der Frau hinüber und erklärte im breiten Vendelbo-Dänisch, dass wir zwar deutsche Pässe, aber einen festen Wohnsitz in Brønderslev gleich in der Nähe hätten. Da guckte sie sich die deutschen Reisepässe erstmals genauer an, wünschte uns ohne weitere Erklärung „God ferie!“ und druckte das Bordticket aus.
„Mama, was war das denn jetzt?“
Als wir unser Auto in die entsprechende Reihe vor dem Schiff abgestellt hatten, waren wir alle ein wenig überrumpelt. Es bot sich eine fabelhafte Gelegenheit, den verwirrten Kindern die Vorzüge und Freiheiten der Europäischen Union zu erklären. Nur drei Spuren waren besetzt. Die meisten Fahrzeuge hatten norwegische Kennzeichen, Wohnwägen oder Wohnmobile waren kaum darunter. Deutsche konnten wir tatsächlich nur im Spiegel ausmachen.
Auf der Fähre erschraken wir ein weiteres Mal. Wir entdeckten viele dänische Fahnen und noch mehr leere Sitzplätze. Nicht nur das Restaurant war leer, sondern auch viele Sitzgelegenheiten im ganzen Schiff! Dem Personal war anzusehen, welche Freude es machte, endlich wieder Passagiere betreuen zu können. Wir fühlten uns wie Könige.
Überall waren Spender mit Desinfektionsmittel angebracht und das Frühstücksbuffet war deutlich verkleinert und umgestaltet worden. Wir wurden von gesprächigen Norwegern bedient, die die gewünschten Speisen für jeden Gast auf Teller legten. Eine Schlange gab es nicht.
Alles war ungewöhnlich still. Nachdenklich still.
Allein unter Norwegern
In Larvik angekommen dauerte es nicht lange, bis wir aus dem Bereich des Fährhafens herausgefahren waren. Wir standen in der kürzesten Schlange an der norwegischen Grenze, die wir je erlebt hatten. Ein Blick auf unser dänisches Kennzeichen und ein lächelndes Winken. Das war´s. Willkommen in Norwegen!
Wie immer hatten wir uns lediglich um eine erste Anlaufstation bemüht. Wir pflegen nämlich unserer Nase hinterherzureisen, wenn wir auf einen Roadtrip gehen. Wir steuerten einen Familiencampingplatz im ➡ Byglandsfjord an. Als wir unseren Wohnwagen direkt am Wasser platzierten, bemerkten wir ein allgemeines Staunen und verwunderte Blicke auf unser Auto.
Überall war reichlich Platz und wir hörten nur eine Sprache: Norwegisch. Wir fielen auf.
Die Tatsache, dass wir Deutsch sprachen, bescherte uns teilweise sehr schöne Gespräche. Natürlich diskutierten wir mehrfach über die durch Corona bedingten Maßnahmen in den verschiedenen Ländern. Wir begegneten weder Panik noch Angst vor einer Ansteckung. Wir fühlten uns sicher und gut aufgehoben.
„Fahrt unbedingt zum Gaustatoppen!“
Während einer dieser gesprächigen Gelegenheiten fragte ich den netten Familienvater vom Nachbarzelt, wo er denn hinfahren würde, hätte er noch ein paar Tage frei. Er empfahl mir den ➡ Gaustatoppen und zeichnete eine Karte mit der besten Anfahrtsroute. Jener Berg bietet bei klarer Sicht die Gelegenheit, ein Sechstel des kompletten Landes zu überblicken.
Das Schöne an unserer Art zu reisen ist, dass wir das sehen können, was uns gerade so einfällt. Und darum machten wir uns nach drei Tagen ➡ Abenteuer im Byglandsfjord eben auf den Weg in die Telemark.
Aufgrund einer Straßensperrung mussten wir zum angedachten Campingplatz eine steile Straße nehmen, die unser Auto mit dem Wohnwagen nicht wirklich gut bewältigen konnte. Gottlob waren sämtliche Passstraßen wie ausgefegt und wir demnach erst die einzigen Schnecken, dann das einzige Rauchauto am Berg. Es trägt uns übrigens bis heute jene schwere Anfahrt nach. Aber es hat sich gelohnt, die Gegend um ➡ Rjukan zu erkunden und die Abende an Norwegens dritttiefstem See Tinnsjå waren traumhaft.
Das Wasserkraftwerk Vemork
Wir beschlossen, unserem Auto ausreichend Erholung zu erlauben und erkundeten die Gegend ohne Wohnwagen. Wir wanderten in den einsamsten Fjellregionen, die es gibt. Uns gefiel die allgegenwärtige Einsamkeit und die Tatsache, dass wir dieses Mal keine freistehenden Wohnmobile zu sehen bekamen. Es ist uns auf vergangenen Reisen aufgefallen, dass Wildcampen ein Trend geworden ist.
Der Ort Rjukan liegt in einem engen Längstal. Da die Sonnenstrahlen von Oktober bis März nicht mehr bis an die Talsohle gelangen, sorgen drei große Spiegel dafür, dass zumindest der Marktplatz in den Wintermonaten hell erleuchtet ist. Eine weitere Attraktion der Stadt ist das Wasserkraftwerk Vemork. Hier wollten die Nationalsozialisten das für eine Atombombe benötigte schwere Wasser herstellen lassen.
Diesen geschichtlich düsteren Ort zu entdecken hat uns sehr beeindruckt. Das ins UNESCO Weltkultuerbe aufgenommene Werk gibt erstaunliche Einblicke in das Leben und Wirken der Norweger in vergangenen Zeiten und in die diabolische Grausamkeit des II. Weltkriegs.
„I am famous, google this!“
Wir wunderten uns allerdings etwas über den Menschenauflauf und die geduldige Warteschlange in der Turbinenhalle. Viele posierten für ein Foto mit einem offensichtlich fröhlichen Mann, der sich nach jedem Foto immer wieder an einen vollgepackten Tisch setzte. Neugierig geworden stellte ich mich mit den Kindern an. Als wir schließlich den Tisch erreicht hatten, guckte der Mann erstaunt zu mir hoch und schien auf Lobhudelei oder Freudenschreie oder was weiß ich zu warten. Meine Frage, was er denn für schöne Bücher habe, verwirrte ihn. Er stellte sich vor mich hin und zeigte mir eines seiner Bücher. Geduldig erklärte er mir, dass er sich mit der Geschichte des Ortes befasst und jene als Cartoon aufbereitet habe. Er erkundigte sich nach den Namen meiner Kinder und signierte zwei Exemplare für sie. Da ich immer noch keine Ahnung hatte, wer da eigentlich vor mir stand, grinste er breit und sprach plötzlich Englisch: „I am Øistein. Many people around the world know me. I am famous, google this!“ Ich antwortete perplex: „Well, I am not famous, but Google knows me as well.“
Wir lachten beide und gäbe es das Coronavirus nicht, hätten wir uns vermutlich lachend umarmt. Netter Mann, dieser Herr Øistein!
Auf dem Gaustatoppen
Der Gaustatoppen kann auf mehreren Wegen erklommen werden. Er ist mit 1883 m der höchste Berg der Provinz und diente aufgrund seiner besonderen Lage während des Kalten Krieges als Radar- und Funkstation. Wir wandern eigentlich sehr gerne, doch diesen Gipfel wollten wir nicht zu Fuß erreichen! Im Inneren des Berges fährt nämlich eine spektakuläre Bahn: In einer grotesk erscheinenden Steigung von 39 Grad geht es etwa 1 Kilometer nach oben.
Oben angekommen konnten wir leider nur kurz über die spektakuläre Aussicht staunen. Das Wetter verschlechterte sich so schnell, dass wir, noch bevor wir oben beim Funkturm angelangen waren, bereits im Wolkennebel standen. Die im Café beschäftigten Damen liefen heraus und warfen die Steintürmchen bei der Treppe um. Sie erklärten uns, dass einige Menschen sich aufgrund der Männchen auf sicherem Terrain fühlen würden und so buchstäblich in den Abgrund rutschen könnten.
Wir kehrten in der Hütte ein, um eine Tasse Kakao zu trinken. Aufgrund Corona- und Abstandsregelungen war es lediglich Kindern erlaubt, im Sitzbereich Platz zu nehmen. Durch das Fenster beobachteten wir das Verschwinden des herrlichen Ausblicks. (Mehr Bilder zeigen wir bald in einer gesonderten Galerie.)
Die Rückkehr war leider etwas unerfreulich, da ein Schaden an der Bahn uns zu einer zweistündigen Wartezeit im Bergtunnel zwang. Es war eiskalt und doch war die Laune aller Wartenden mehr als angenehm.
Nach diesem Aufenthalt in der engen Kälte wurden wir alle vier krank. Wir husteten und bekamen ein ungutes Gefühl.
Mehr dazu im nächsten Teil.
16 Comments
Pingback:
Pingback:
Pingback:
Stella, oh, Stella
Der Film geht darum, wie die Alliierten, vornehmlich die Amerikaner, versucht haben, das Schwerewasserprojekt zu verhindern bzw. zu boykottieren. Werner Heisenberg wurde so dargestellt, dass er versuchte, die Herstellung der Bombe hinauszuzögern, weil er die Atomkraft eigentlich zur Energiegewinnung benutzen wollte und nicht als Waffe. Wie dem auch sei, arbeitete er ja trotzdem an der Bombe. Ein richtiger Abenteuerfilm.
Meermond
Das passt sehr gut in diese Kulisse! Wir haben uns dort tatsächlich auch über Heisenberg unterhalten und seine wirkliche Rolle in dem Ganzen … Danke für die Anregung, ich schau mal, ob man diesen Film irgendwo finden kann.
Kerstin August
Ein wunderbar Reise Berich spand bis zu letzten zeile.
Freue mich schon auf den 2 Teil.
Meermond
Vielen Dank! Der zweite Teil ist schon in Arbeit 😉
Ruhrköpfe
Spannend! Das würde ich mir gerne beim nächsten Norwegen-Besuch ansehen und natürlich auch das Café besuchen 🙂
Meermond
🙂 Ich muss ganz ehrlich sagen, dass dieser Ausflug es wert war, viel zu viele Kilometer voller Angstschweiß auf dem Beifahrersitz verbracht zu haben. Der Gaustatoppen ist wirklich ein Reiseziel, das ich weiterempfehlen kann. God tur!
Ruhrköpfe
Danke, ich schaue mal, wie sich das nächstes Mal einplanen lässt 😀 Liebe Grüße, Annette
Claus Hübner
Moin, das ist ja mal wieder ein schöner Bericht, man ist irgendwie wieder mit dabei bei euren Abenteuern. Ich freue mich schon auf den 2. Teil. Hoffentlich war der Urlaub trotz der Krankheit eine Erholung und weiterhin so schön und abenteuerlich.
Meermond
Vielen Dank, lieber Claus. Der Urlaub war unglaublich schön und ich freue mich schon, von unseren Abenteuern zu erzählen. Das Höhlenabenteuer ist so toll, dass ich noch nach den passenden Worten suchen muss, um sie so erzählen zu können, wie es wirklich war. Wow, sag ich dir!
Beim Fernsehen sagt man doch immer „Stay tuned“ 🙂
Liebe Grüße
etoilefilante22
Hoffentlich seid ihr alle inzwischen wieder gesund!
Meermond
Vielen Dank, natürlich sind wir das. Ich fand diesen Cliffhänger aber sehr gut. Schließlich hoffe ich darauf, dass der eine oder andere neugierig auf die Fortsetzung wird 😉
Liebe Grüße ans Meer
Stella, oh, Stella
Da habt ihr aber schon einige abenteuerliche Tage verbracht. Wir haben die Anlage in dem Film „Telemarkens helte“ gesehen, mit Kirk Douglas in der Hauptrolle. Ich weiss gar nicht, wie der Film auf Englisch heisst. Die Bilder vom Gaustatoppen sind atemberaubend, wow! (Also bevor der Nebel kam … ? )
Schade, dass ihr alle krank wurdet, sowas erwartet man ja nicht gerade im Sommer …
Meermond
Ach du weißt doch, dass wir meistens immer in irgendwelchen Abenteuern landen. Normal können wir vermutlich gar nicht 😉
Ich werde nach diesem Film googeln, interessiert es mich, wozu man da gedreht hat.
Normalerweise sind Erkältungen im Sommer auch nicht so schlimm, aber wenn dir Quarantäne oder der Zutritt zur Fähre wegen ein paar Nieserern verweigert werden kann (stand so in den Reiseunterlagen), dann wird man doch deutlich nervöser. Zumal wir alle vier erkältet waren …