Leben in Dänemark

Mach es wie die Dänen: Hol dir innere Wärme!

Draußen wird es zunehmend ungemütlicher. Der Wind jagt die Blätter durch das Land. Die Tage werden kürzer. Der Sommerurlaub am Meer liegt lange zurück. Jetzt ist es Zeit, sich Gutes zu tun. Viele Menschen nehmen sich dazu dänisches Lebensgefühl zum Vorbild. Auch ich mach es wie die Dänen und hol mir innere Wärme. Seelisches Wohlbefinden trägt schließlich dazu bei, selbst trübe Tage gut überstehen zu können. Hol dir hier gerne Anregungen, wie auch du möglichst gut durch die dunkle Jahreszeit kommen kannst.

Zugegeben, angesichts der vielen negativen Nachrichten, die täglich auf uns einprasseln, ist es schwer, einen Artikel wie diesen hier zu verfassen. Schließlich soll es nicht im bereits medial verkochten Standardrezept hyggelige Dekoration + Heißgetränk = Seelenfrieden enden.

Das erscheint mir zu banal und verpuffte in einem jener Hyggemomente, die man derzeit verstärkt auf Instagram teilt.

Typisch dänisch?

Dänisches Lebensgefühl – Was ist das eigentlich?

Es gibt inzwischen unzählige Artikel und Zeitschriften darüber, was man unter dem dänischen Lebensgefühl zu verstehen hat. Ich erlaube mir daher gleich vor den weiteren Ausführungen, das Geheimnis zu lüften:

Genuss + Gemeinschaft + Zeit = dänisches Lebensgefühl

Zugegeben, ein echtes Geheimnis ist dies nicht mehr. Darüber wurde schon oft geschrieben und berichtet. Man weiß das alles schon.

Und doch möchte ich heute den wahren Kern erläutern. Ab und an habe ich Ratschläge, dennoch soll dies hier keine Lebensberatung werden. Das können andere weit besser als ich. Ich möchte zum Nachdenken anregen. Hierzu gebe ich Einblicke in das dänische Lebensgefühl, das ich während der sieben Jahre in Nordjütland kennenlernen durfte.

Der Faktor Genuss

Dänen sind ziemlich gut darin, das Leben zu genießen. Und sollten unglückliche Umstände das Leben unangenehm machen, so werden die angenehmen Situationen besonders intensiv gelebt. Genuss braucht Zeit. Nimmt man sich die Zeit für das, was man tut, so erlebt und genießt man anders.

Dänen genießen auch anders. Wie viele Touristen zieht es auch sie zum Sonnenuntergang ans Meer – doch steigen sie oft nicht einmal aus ihren Autos aus. Sie sitzen im Warmen, haben Wein oder Kaffee dabei und betrachten das Schauspiel in hyggeliger Wärme. Allein oder zu mehreren.

Gerade in der ungemütlichen Zeit ist man zum Strandspaziergang während des Sonnenuntergangs komplett alleine.

Dänen nehmen es mit dem Genuss nämlich gerne wortwörtlich. Alles ist schöner, wenn es dazu mindestens Kaffee gibt. Noch schöner mit Kuchen!

Bei der Arbeit stehen Obstkörbe im Pausenraum, Kaffee fließt in Strömen. In der Schule und in Vereinen gibt es Feste mit ➡ fællesspisning. Und zu einer Einladung zu dänischen Freunden solltest du besser nicht satt kommen.

Dänen genießen das Essen. In Skandinavien sagt man Folgendes: Die Dänen leben, um zu essen!

Tatsächlich dreht es sich bei den Dänen irgendwie immer ums Essen. Hier ein Beispiel: Dänische Weihnachtsessen ziehen sich über Stunden hinweg und bereits jetzt im Oktober freuen sich Freunde von uns auf das kulinarische Spektakel des nahenden Fests.

Nun ja, ich persönlich befinde mich gedanklich noch im Herbst, aber angesichts der Tatsache, dass die ➡ Weihnachtszeit schon nach dem j-dag (4.11.2022) beginnt, ist das irgendwie verständlich. Bei unseren Freunden steht die Bescherung sogar beinahe an zweiter Stelle. Sie ist unmittelbar mit dem Festessen verbunden. Es wird gegessen, gesungen, getanzt und immer wieder gibt es ein Päckchen. Es wird weitergegessen, dann kommt das pakkespil, dann das mandelgave im Milchreis … Lies hier, wie ➡ Dänen Weihnachten feiern. Als die Kinder unserer Freunde noch klein waren, schafften sie es nicht, alle Geschenke noch am heiligen Abend auszupacken, weil es schon so spät geworden war und sie erschöpft und übersättigt waren.

Dänisches pakkespil

Dänen gestalten viele Dinge durch kulinarischen Genuss noch schöner. Und mit ihnen die Zeit zu genießen, ist unglaublich schön.

Wie genießt du dänisch?

Nimm dir Zeit für das, was du tust. So kannst du dein Tun wirklich genießen. Und vergiss nicht, dass die echte dänische Hygge meistens ordentlich satt macht! Solltest du ➡ hier nicht dein dänisches Lieblingsrezept finden, so wende dich gerne an Wienerbroed oder Mahtava.

Der Faktor Gemeinschaft

Dänen wertschätzen das Miteinander. Das Leben als Gemeinschaft prägt das ganze Land. Durch das jantelov (➡ erfahre hier mehr) wird versucht, satt einem hierarchischen Gegeneinander ein Miteinander zu erschaffen. Man ist füreinander da. Man vertraut einander. Es gibt ein Gesundheitssystem, zu dem alle Zugang haben, das Vertrauen in den Staat ist hoch.

In der Arbeitswelt ist Raum für ein Miteinander. Die Menschen arbeiten auf Augenhöhe.

Obst und Gemüse im Pausenraum – viele Arbeitgeber stellen dies für ihre Mitarbeiter zur Verfügung.

Es gibt Freiwilligenarbeit und ➡ ungeschriebene Gesetze, an die sich eigentlich alle halten.

Natürlich ist auch in Dänemark nicht alles rosarot. Wäre alles ausschließlich so paradiesisch, wie man es spätestens an dieser Textstelle vermuten könnte, so hätten mich keine zehn Pferde dazu gebracht, das Land der Hygge jemals wieder zu verlassen! Es ist dieser Gemeinschaftsgedanke, der das Leben in Dänemark sehr angenehm macht. Das Gefühl, Teil eines Miteinanders zu sein, tut richtig gut! Und gibt das Gefühl von Sicherheit.

Das Gefühl dieser skandinavischen Sicherheit empfinde ich als persönliche Bereicherung.

Wie setzt du das außerhalb von Dänemark um?

Die Gesellschaftsstruktur eines Landes kannst du allein nicht ändern. Doch selbst große Änderungen beginnen im Kleinen. Bestimmt kannst du aus den oben erläuterten Dingen das eine oder andere für dein Leben übernehmen. Ein Miteinander geht überall …

Der Faktor Zeit – Pünktlichkeit

Das Leben in Dänemark ist anders als das in Deutschland. Man mag es nicht glauben, aber Dänen sind die pünktlichsten Menschen, denen ich je begegnet bin. Deutschland nennt man pünktlich, Dänemark ist es wirklich. Termine und Veranstaltungen werden sorgfältig geplant, teilweise monatelang im Voraus. Auch private Treffen werden geplant. In meinem dänischen Bekanntenkreis sind viele in einen streng geplanten Feierritus mit Familie und Freunden eingebunden. Jeder Geburtstag wird gemeinsam gefeiert, anstehende Festlichkeiten richtig groß. Und mit groß meine ich auch groß: Bei der Geburt eines Kindes wird zum Beispiel oftmals ein Spartopf für die Feier der Konfirmation eröffnet. So manche Hochzeit ist weniger prunkvoll!

Jeder Däne hat die Kalenderwochen im Kopf und kann Terminen, die mit einer Wochenummer angekündigt werden, zeitlich einordnen. Bei privaten Treffen ist es, wenn es nicht anders ausgemacht oder untereinander üblich ist, eher unhöflich, vor der ausgemachten Uhrzeit aufzutauchen, recht viel später als 10 Minuten sollte man allerdings auch nicht kommen. Wenn eine Veranstaltung mit von – bis angekündigt ist, dann ist das auch exakt so. Beim Bis stehen alle auf und räumen die Tische zur Seite, fegen den Saal oder räumen die Kaffeetassen weg. Farvel.

Was vielleicht etwas anstrengend klingen mag, erleichtert viele Dinge. Beim Arzt habe ich nur selten warten müssen, das öffentliche Leben funktioniert planbarer. Im Privaten kann man sich auf die Dänen verlassen, wer sein Kommen ankündigt, der kommt in der Regel auch. Und hat man es erst einmal in den Freundeskreis eines Dänen geschafft, dann lernt man, was sich Zeit nehmen wirklich bedeutet.

Zeit – nimm sie dir!

Die durchschnittliche Arbeitszeit in Dänemark liegt bei 37 Stunden. Überstunden gibt es in manchen Berufen, gesellschaftlich normalisiert sind sie nicht. Man arbeitet. Man geht nach Hause. Man lebt nicht, um zu arbeiten. Man arbeitet, um zu leben. Und dann ist Freizeit.

Dänen sind gerne in Vereinen: Sportclubs, spezielle Handarbeits- und Werkgruppen, wie das hier vorgestellte ➡ husflid, ➡ Freiwilligenarbeit oder Interessensvereinigungen. Treffen oder Ausflüge mit Freunden werden sorgfältig vorbereitet. Es gibt immer mindestens Kaffee und Kuchen. Mindestens. Denn Dänen genießen die Zeit mit denen, die sie treffen wollen. Wo sonst, wenn nicht in Dänemark, hätte sich eine ➡ südjütische Kaffeetafel mit 21 (sic!) verschiedenen Gebäckstücken entwickeln können?

Sønderjysk kaffebord – ein dänisches Kulturgut

Wenn man sich trifft, dann muss dafür Zeit sein.

Hygge braucht Zeit!

Und Dänen nehmen sie sich.

Ich habe immer das Gefühl gehabt, wirklich willkommen zu sein. Und ich war tatsächlich immer reichlich gesättigt, wenn ich die Tür zu meinem Haus aufgesperrt habe. Dänisches Lebensgefühl bedeutet, Zeit haben zu dürfen. Und sie sich nehmen zu dürfen. Überall. Hat man keine Zeit oder Lust auf ein Miteinander, dann darf man sich Zeit für Sofa und Buch/Fernseher nehmen. Das sind gesellschaftlich anerkannte Freizeitbeschäftigungen.

Wie soll das außerhalb von Dänemark gehen?

Zugegeben, die Arbeitszeit und das Lebenstempo in Deutschland ist anders. Das kannst du natürlich nur bedingt ändern. Aber du kannst das Tempo dort rausnehmen, wo du aktiven Einfluss darauf hast. Mir fallen da zum Beispiel folgende Dinge ein:

  • Kein Tempolimit auf deutschen Autobahnen zu haben bedeutet nicht, dass du keine dänischen 130 km/h fahren darfst.
  • Sei pünktlich, denn nichts stresst mehr, als zu einem Termin hetzen zu müssen!
  • Zeitliche Ausbeutung im Job musst du nicht unbegrenzt hinnehmen. Jobwechsel sind in Dänemark üblich, man arbeitet nur in den seltensten Fällen quasi lebenslang bei einer Firma oder in einem Beruf.
  • Plane deine Freizeit, um zu sehen, was du zeitlich bewältigen kannst. Lieber hast du weniger gute Treffen als viele, die du unter Stress absolvierst.
  • Verschaff dir einen visuellen Überblick über deine Termine. Auch wenn Dänemark hochdigitalisiert ist, es gibt unglaublich viele Kalender zu kaufen. Der Wochenkalender ist in dänischen Familien genauso üblich wie der Stundenplan der Kinder am Kühlschrank.
  • Miste aus! Dänen haben tatsächlich leerere Wohnungen und Schränke. Weniger Sachen bedeuten automatisch weniger Zeitaufwand zur Pflege. Durch das Genbrugswesen im Land ist es möglich, einen schnellen und unkomplizierten Wechsel im Kleiderschrank zu bekommen. Das geht zum Beispiel auch über verschiedene Tauschapps oder Ähnliches. Fülle den Leerraum mit Licht: Vermeintlich leer aussehenden Wohnraum kann man ausgezeichnet mit Kerzen oder Stehlämpchen füllen. Dänen sind tatsächlich darin Großverbraucher. Überall ist Licht in den Häusern, den Straßen, den Augen der Menschen.
  • Und vergiss nicht, dir Zeit für dich selbst zu nehmen. Auch als alleinerziehende Mutter in Vollzeit in Bayern habe ich mir das Recht genommen, mein Kind vor seine Lieblingsfernsehsendung zu setzen, um Pause haben zu dürfen. Und manchmal habe ich mir die Zeit dazu genommen, mich zu ihm zu setzen. Ich kenne daher alle Spongebobfilme der Staffeln 1 bis 7 …

Innere Wärme

Als ich diesen Artikel zu schreiben begann, war mein Aufhänger Wärme. Ich dachte an meine Felle auf dem Sofa, die plüschigen Hausschuhe an meinen Füßen, Kerzen, Kaminfeuer und den gestrigen Abend mit Freunden. Ich habe mich so über den bläulich brennenden Zucker über der ersten Feuerzangenbowle meines Lebens gefreut. Draußen blitzte ein Gewitter und der Regen klatschte an die Scheiben, während wir uns im Warmen über den heißen Wein in tönernen Bechern vom Naschmarkt freuten. Es war so hyggelig und wir saßen bis um 1 Uhr nachts zusammen. Der Abend wärmte nicht nur meinen Bauch, sondern viel mehr meine Seele.

Und genau dieses Gefühl wollte ich heute an meine Leser weitergeben. Ich wollte über Hygge und die Zeit mit Freunden schreiben und endete nach wenigen Zeilen im Kern des Ganzen: dem Lebensgefühl.

Ich wohne jetzt in Norwegen. Manche Dinge sind hier genau so wie in Dänemark und das fühlt sich gut an! Die skandinavischen Länder haben trotz der Unterschiede auch viele Gemeinsamkeiten.

In Dänemark durfte ich das lernen, was mich bis heute dankbar macht und mir innere Wärme gezeigt hat. Ich lernte, mein Leben zu genießen. Weil und trotzdem.

In Skandinavien wird dem Genuss viel Aufmerksamkeit geschenkt: dem herrlichen Ausblick, aber auch dem Weg nach oben.

Die Formel Genuss + Gemeinschaft + Zeit funktioniert hier in Norwegen zwar auch, allerdings essen die Norweger, um zu leben. Aber das soll eine andere Geschichte sein.

Tak for sidst.

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Ich bin Marion und schreibe in unserem Onlinemagazin Meermond zu den Themen Reisen, Fotografie, Kultur und unser Leben in Skandinavien.

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